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Welch Jammertal hatten Adventure-Fans noch vor einigen Jahren zu beklagen: Da war vom Tod des Genres, vom Abgesang einer großen Spielkultur die Rede und alle stimmten unisono in das Klagelied mit ein. Adventures schienen unrettbar verloren und dann kam die Wende – langsam, aber gewaltig. Mit Titeln wie der Ankh-Reihe oder den beiden Geheimakte (Tunguska)-Teilen, die das Herz der Spielerschaft im Sturm eroberten.
Mittlerweile stehen Adventures wieder so hoch im Kurs, dass kaum ein Monat vergeht, an dem nicht ein neuer Titel vorgestellt wird und kaum ein Entwickler der jüngeren Zeit leistete hier wertvollere Arbeit als das Studio
Daedalic Entertainment, das mit dem Überraschungshit
Edna bricht aus und dem wundervollen
The Whispered World schon jetzt zu den festen Größen des Genres gehört.
Der Hamburger jüngstes Baby hört auf den epischen Namen
A New Beginning und gehört zu den gesellschaftskritischsten Adventures, die uns Spielern je präsentiert wurden: Bent Svensson, ein desillusionierter norwegischer Wissenschaftler wird aus heiterem Himmel von der jungen Zeitreise-Pilotin Fay aufgesucht, die behauptet, dass die Menschheit in nur wenigen Jahrzehnten von einer riesigen Klimakatastrophe heimgesucht wird, deren Vermeidung einzig in Bents Händen läge.
Ernstes Thema, liebevoll verpackt
Daedalic greift ein brandaktuelles Thema auf, das derzeit Politik und Bevölkerung in Wallung versetzt: Atomenergie. Denn während die Laufzeiten für die hiesigen AKWs just verlängert wurden, steht diese Entscheidung bei
A New Beginning noch aus. Mehr sogar: Da Svensson eine vermeintlich alternative Energiequelle in seinen Händen hält, wäre es durchaus möglich, die Zukunft der Menschheit anders zu gestalten, wären da nicht die bekannten Interessen der Großkonzerne, die mit Energie lieber Milliardengeschäfte machen, als diese zu verschenken.
Ernster Stoff also, den die Entwickler jedoch liebevoll verpacken. So kommt das Spiel mit einem ähnlich schönen, handgezeichneten Look daher, der schon
The Whispered World so wundervoll in Szene setzte. Zwischensequenzen werden, ganz wie bei einem Comic, in einzelnen Fenstern dargestellt. Das ist ungewöhnlich und vielleicht nicht jedermanns Geschmack, weist aber zumindest auf einen gewissen Mut für neue Formen der Darstellung hin.
Der technische Aspekt
Technisch könnte sich das Spiel indes einen Hauch moderner zeigen: Die Animationen wirken bisweilen etwas hakelig, die Grafik ist relativ niedrig aufgelöst und um die Protagonisten herum bilden sich unschöne Treppchen. Dafür werden die Ohren mit einem wunderbaren Soundtrack verwöhnt, der erfreulicherweise als CD in der aufwändig gestalteten Box liegt. Anders als bei vielen andren Spielesoundtracks gibt es hier tatsächlich das eine oder andere (melancholische) Stück, das man sich tatsächlich auch mal außerhalb des Spieles anhört– sehr schön!
Jeder Dialog ist im Übrigen vertont und hier hat sich das Studio in den meisten Fällen auch sichtlich Mühe gegeben. Trotzdem fällt besonders bei Nebencharakteren immer mal wieder auf, dass nicht alles auf gleichbleibend hohem Niveau ist – störend ist dies allerdings nur in den seltensten Fällen.
Standardisierte Rätselkost
Spielerisch geht
A New Beginning keine neuen Wege: Grundsätzlich wird hier die übliche Rätselkost geliefert, die bedingt durch das Szenario etwas spannungsgeladener daher kommt als üblich. Der Ideenreichtum der Aufgaben und deren Lösung halten sich hierbei eine angenehme Logikwaage, auch wenn sich so manches Rätsel als höchst resistente Kopfnuss erweist. Rätsel, in denen mehrere Protagonisten Hand in Hand arbeiten müssen, gibt es kaum – und das, obwohl das Spiel häufig den Hauptcharakter wechselt. Hier hätte man mehr daraus machen können, gerade weil Fay und Bent vielfach zusammenhängen.
Von Zeit zu Zeit fordert der Titel kleinere Minispiele von uns ab, die zum Teil so seltsam in Szene gesetzt sind, dass man gar nicht genau weiß, was das Spiel von einem verlangt. Das haben wohl auch die Entwickler vorausgesehen und einen Button eingebaut, der jedes Minispiel nach drei Minuten automatisch als gelöst überspringt – eine Funktion, die so mancher Spieler sicherlich dankend in Anspruch nimmt.
Überhaupt hat des Daedalic gut mit den Ungeduldigen gemeint: Mittel Space-Taste lassen sich Hotspot-Punkte anzeigen und per Doppelklick auf einen Ausgang lassen sich lange Laufwege deutlich abkürzen. Das spart Zeit und Nerven.
Unverbrauchtes Szenario
Was am meisten für
A New Beginning fasziniert ist das unverbrauchte Szenario und die Art und Weise, wie es die Entwickler geschafft haben, ein ernstes Thema in einem comicartigen Spiel zu realisieren. Da haben wir auf der einen Seite die junge Fay, die in ihrer fast schon naiven Art staunend die Geschehnisse um sich herum betrachtet und damit im direkten Kontrast zum brummig-sarkastischen Bent liegt, der mit seinen trockenen Sprüchen ein ums andere Mal für herzhafte Lacher sorgt.
Auf der anderen Seite springt uns die brandaktuelle Umweltproblematik direkt an, die sich bisweilen knallhart im Spielverlauf äußert und Nebencharaktere im wahrsten Sinne des Wortes auch mal über die Klinge hüpfen lässt.
Bugs, Abstürze oder andere technische Probleme, wie sie in diversen Foren oder Amazon-Rezensionen kundgetan werden, konnten wir während des Tests übrigens nicht feststellen. So kam es während des gesamten Spielsession zu keinem einzigen Absturz und das, obwohl häufig zwischen Desktop und Spiel gewechselt wurde.
Fazit: Wunderbar mutige Mischung
Daedalic ist mal wieder mutig: Nach dem schon sehr ungewöhnlichen
Edna bricht aus und dem reichlich melancholischen
The Whispered World steht
mit A New Beginning abermals ein Adventure in den Startlöchern, das über ein außergewöhnliches und vor allem unverbrauchtes Szenario verfügt. Die Mischung aus Zeitreise-Thematik und Klimakatastrophe bildet den Nährboden für eine höchst interessante Story, die immer wieder Verweise auf reale Geschehnisse einflechtet und damit auch politisch Interessierte in ihren Bann zieht.
Doch keine Sorge:
A New Beginning bleibt im Kern ein klassisches Adventure und punktet deshalb mit all den Tugenden, die Fans dieses Genres so lieben: Guter Humor, knackige Rätsel und ein angenehmes Äußeres. Letzteres ist zwar nicht State of the Art, versprüht dank handgezeichneter Hintergründe und Protagonisten einen sehr willkommenen Charme und wagt hier mit der eigenständigen Darstellung der Zwischensequenzen einen innovativen Schritt.
Insgesamt eine wunderbare Mischung ungewöhnlicher Einzelteile, die schön miteinander harmonieren und das Spiel trotz kleinerer Schwächen zu einer sehr empfehlenswerten Gesamtkomposition machen. Kauftipp – auch weil der Packungsinhalt stimmt!
Wertung: 10/12