CRPG-Archiv: Rogue

Sothi | 7. Mai 2016 | 08:00
Rogue
Wer eine Reise in die Vergangenheit des Computerspiels betreibt, kann nicht erwarten, dass die Titel optisch für Begeisterungsstürme sorgen. Auch gilt ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit in Sachen Benutzerführung in Hobbyhistoriker-Kreisen als selbstverständlich. Ich glaube, darin sind wir uns einig und ich wäre der letzte, der die großartige Chance in der Historie zu buddeln damit niederargumentiert, dass alles so scheisse aussieht.

Doch dann Rogue. Ein Spiel, dessen Darstellung komplett aus ASCII besteht -- Wände, Fallen, Schätze, Monster -- alles Zeichen. So läuft etwa der Held als @-Zeichen durch das imaginäre Gewölbe und erlebt, wie ihm Monster gerne mal als großes K (Kobold) oder O (Orc) entgegenstürmen. Ein Spiel, dessen Benutzerführung auf der Un-Intuitivsskala gleich nach den großen Paradox-Titeln inklusive aller Erweiterungen kommt -- wer ist zum Beispiel auf die größenwahnsinnige Idee gekommen, seine Figur weder mit Cursortasten, noch mit WASD, sondern mit h-j-k-l zu bedienen (schaut mal auf eure Tastatur, die Tasten liegen direkt nebeneinander und steuern eure Figur links, runter, hoch, rechts). Da ist die Permadeath-Mechanik, die über viele Jahrzehnte hinweg für einen Kneifzangenreflex sorgte, fast schon wieder in Casual-Bereich angekommen: Wer Roguelike spielt ist schick, sagen zumindest die Hipster und verkennen dabei allzuoft die eine Sache, die bei meinem Anspieltest ziemlich klar wurde: Rogue ist eben viel mehr als nur auf Permadeath und Zufallswerte. Vor allem hat es im historischen Kontext bereits Features ins Genre eingeführt, vor denen selbst die frühen Ultimas vor Neid erblassen würden.

Versionswirrwarr:

Wer sich heutzutage Rogue anschauen möchte, hat die Qual der Wahl: Ursprünglich wurde das CRPG für Unix-Systeme entwickelt, hat also auch eine natürliche Heimat im BSD- und Linuxbereich und war bereits damals Teil so mancher Distributionen. Später wurden viele Versuche unternommen, das Spiel zu kommerzialisieren. Da schnappte sich Mastertronic, bekannt für viele (oftmals erstaunlich gute) Budgetproduktionen, die Rechte für 8-Bit-Portierungen. Epyx, das mit Temple of Apshai im Grunde in Konkurrenz mit Rogue stand, sorgte für die 16-Umsetzungen auf Atari ST und Amiga und steuerte später auch eine offizielle DOS-Version bei, die allerdings schon etwas früher von den Rogue-Entwickler vorgenommen wurde. Man sieht, die Sache wird verwirrend. Aber geht noch weiter: Bis heute gibt es wahrscheinlich mehrere Hundert-Rogue-Versionen; einige wichtigere sind Eingeweihten als Moria oder (Net-)Hack bekannt, die bekannteste allerdings, die bis auf den Permadeath-Aspekt im Grunde ein modernisierter Rogue-Klone ist, dürfte das große Diablo sein.

Aber was macht das Spiel eigentlich so besonders. Und vor allem: Wo steht es im Vergleich zur damaligen Konkurrenz? Wir befinden uns im Jahre 1980. Richard Garriott scheffelt grade seine Kohle mit Akalabeth; Epyx macht die ersten (erfolgreichen) Schritte mit Temple of Apshai. Möchte man einen Vergleich anstellen, so dürfte letzteres der natürlichere Konkurrent sein. Und tatsächlich: Beide Spiele sind im Grunde genommen reine Hack&Slay Dungeoncrawler.

Es ist alles auf diesen einen Urinstinkt herunterreduziert, der fast jedem CRPG inne wohnt: Monster töten, aufsteigen, Beute einsacken, tiefer ins Dungeon eindringen. Doch beide Spiele verfolgen einen anderen Ansatz: Temple of Apshai macht das Ganze fassbarer durch seine damals doch recht passable Top-Down-Optik. Und ist auch im Schwierigkeitsgrad ein Gegenentwurf zu Rogue: Startet man das Spiel, ist es dem Spieler völlig überlassen, mit welchen Charakterwerten er beginnt. Im Grunde genommen ein eingebautes Cheattool.

Da ist Rogue ganz anders gestrickt: Optisch macht der Titel rein gar nichts her, dafür setzt es mehr auf die Fantasie der Spieler. Einsteigerfreundlich ist hier nichts -- weder von der Bedienung, noch vom Schwierigkeitsgrad: Permadeath lautet die Devise -- jede Begegnung, jedes falsch angewendete Item kann dafür sorgen, dass all unsere Bemühungen in den Leveln zuvor ein abruptes Ende nehmen. Perfider wird das Ganze durch eine Mechanik, die mir schon in Akalabeth graue Haare wachsen ließ: Nahrung. Wer sich zu langsam durch die Dungeons bewegt und durch reines Grinden einen Levelvorteil herausarbeiten will, dem zeigt das Spiel den Mittelfinger.

Doch warum tut man sich den Titel dann überhaupt an? Sieht nach nix aus, ist sperrig, ist bockschwer. Was soll das? Die Antwort: Das Spiel ist innerhalb des Dungeon Crawler-Bereichs unheimlich komplex. Tat ich die geringe Ausrüstungsauswahl bei der Konkurrenz noch achselzuckend mit “ging früher halt nicht besser” ab, belehrte mich Rogue eines besseren. Plötzlich gibt es Loot in Hülle und Fülle. Und nicht nur das Standardzeugs: Nahkampf- und Fernkampfwaffen, verzauberte oder verfluchte Rüstungen, Ringe, Tränke, Zauberstäbe, Schriftrollen -- das allein hört sich schon gut an.

Aber schaut man sich die verschiedenen Möglichkeiten an, gerät man in Schwärmen -- wohlgemerkt, ich rede von 1980. So gibt es Monster, die uns nicht nur profane Hitpoints abziehen, sondern auch die Charakterwerte dauerhaft beeinflussen oder unsere Rüstung schädigen. Wer gefundene Ausrüstung nicht identifiziert (auch so eine Mechanik, die später Schule machte), kann beim Anlegen sein blaues Wunder erleben. Wer Glück hat, findet eine Schriftrolle, die uns die Karte zeigt (Vorläufer des Automappings) oder seine Ausrüstung verzaubern lässt. Gegner lassen sich schlafen legen oder verängstigen, verlangsamen oder paralysieren. Es darf teleportiert oder gar unsichtbar durch die Gänge gerannt werden. Und diese Liste ließe sich noch lange fortführen.

Kurzum: All das, was andere Spiele der damaligen Zeit aufgrund von Ressourcenbeschränkungen nicht vermochten, packte Rogue mit seinem ASCII-Zeichensatz. Wenn ich einen aktuellen Vergleich bringen möchte, würde ich Dwarf Fortress heranziehen, das aus ähnlichen Gründen auf Zeichensatzoptik basiert. Und damit gehört Rogue zu den am Besten gealterten CRPGs überhaupt. Temple of Apshai habe ich nicht länger gespielt, als für meine Recherchen unbedingt notwendig war. Auch die ersten Ultima sind eher Qual als Wonne. Diesen Titel hingegen kann man auch heute noch gut spielen -- wenn nur dieses größenwahnsinnige h-j-k-l nicht wäre.

1 response to "CRPG-Archiv: Rogue"

  1. Was "WASD" für Mausschubser, war "hjkl" in den 70ern auf
    Tastaturen ohne Pfeiltasten für Rechtshänder.
    Das ist nicht nur unglaublich praktisch beim 10-Finger-System,
    sondern auch heute noch Standard in Editoren wie vi/vim.
    Wobei die Tastenanordung bei "WASD" natürlich besser ist.
    Da hätte man vielleicht damals schon "IJKL" nehmen können.
    Was benutzen eigentlich Linkshänder, für die ist WASD doch
    totaler Mist, wenn sie die Maus schon links halten ...