Might and Magic 1

Wer im CRPG-Urschleim der 80er Jahre aufwuchs, durfte zweifelsohne die Geburt großer Rollenspielserien miterleben. Namen wie Ultima, Wizardry und Bard’s Tale prägten ganze Generationen und erzeugen auch heute noch ein respektvolles Raunen, wenn sie in nerdiger Runde als Beispiele für die Anfänge des Genres genannt werden. Ein Titel, der ebenfalls in Serie ging und ohne Zweifel in einem Atemzug mit den genannten Konkurrenten erwähnt werden darf, ist New World Computings Might and Magic.

Might and Magic Book 1: The Secret of the Inner Sanctum -- so der eher sperrige Titel eines Spiels, das den Grundstein für einen Ausnahmeerfolg legen sollte, erblickte 1986 das Licht der Welt. Drei Jahren mühevoller Kleinarbeit brauchte es, damit Jon van Caneghem seinen Traum vom perfekten Rollenspiel umsetzen konnte. Ursprünglich für den Apple II entwickelt, folgte bald eine Portierung für DOS und andere Systeme, sowie die Gründung von New World Computing, einer Firma, deren Logo auch noch Jahre später für ein wohliges Gefühl sorgte: Dort wo Jon van Caneghem Productions draufstand, war in der Regel Might and Magic drin -- und das war in den meisten Fällen ein wahrer Segen.

Might and Magic I, wie wir es im Folgenden abgekürzt nennen, fuhr 1986 im Fahrwasser des ersten großen CRPG-Hypespiels The Bard’s Tale. Spielprinzip, Perspektive und Kampfsystem erinnern dabei frappierend an die Bardensaga und damit auch an die Wizardry-Serie, welche als die natürliche Inspirationsquelle von The Bard’s Tale gilt. Lässt man also Ultima einmal außen vor, das spielerisch in einer anderen Liga unterwegs war, buhlten drei waschechte Hack&Slay-Vertreter um die Gunst der Spieler. Was aber machte Might and Magic besser oder anders als die Konkurrenz?

I am Sheltem, Guardian of Terra!”

Beginnen wir dort, wo jedes Rollenspiel beginnt: Am Anfang. In Might&Magic 1 unterstützen wir einen gewissen Corak auf der Jagd nach dem Oberbösewicht Sheltem, einer Maschine, einst von “Den Ältesten” erbaut um die Welt Terra als Wächter zu leiten. Inzwischen jedoch komplett durchgedreht stellt Sheltem nun eine Bedrohung für jegliches Leben dar.

Sheltem, das ist ein Name, der in meinem Gedächtnis klingelt: Mein erster Kontakt mit der Might and Magic-Serie stellte Might&Magic 3: Isles of Terra dar und ich werde nie die Sprachausgabe vergessen, die mir im Intro entgegenschmetterte “I am Sheltem, Guardian of Terra!”. Der Kampf Corak gegen Sheltem wird uns durch ganze fünf Might&Magic-Abenteuer begleiten und damit etwas besitzen, das Wizardry (vor Teil 6) und Bards Tale weitgehend abgeht: Eine stringente, sich durch mehrere Spiele ziehende Handlung.

Wer The Secret of the Inner Sanctum zum Release in die Finger bekommt, ahnt freilich noch nichts von diesen epischen Auswüchsen und beurteilt das Spiel nach dem, was sich auf dem Bildschirm tut -- und da tut sich so einiges, wenn auch nichts, das für Innovationsapplaus sorgt. Was man Might&Magic 1 und auch jedem späteren Teil zugute halten kann ist das epische Ausmaß, mit dem die Spielwelt zelebriert wird. Während Wizardry bis inklusive Bane of the Cosmic Forge noch als Dungeon Crawler vornehmlich Verliese unsicher macht und zumindest der erste Barde-Ableger lediglich eine (zugegebenermaßen schöne) Stadt in Szene setzt, durchläuft der Spieler bereits im ersten Might and Magic verschiedene Biome wie Wüstengegenden oder Schneelandschaften.

Auch im Gameplay geht das Spiel einen Schritt weiter: Die anfängliche Auswahl des Geschlechts und der Gesinnung wirkt sich im späteren Spielverlauf aus. Trifft man auf einen Gegner, heißt es nunmehr nicht nur fliehen oder kämpfen, sondern man darf zusätzlich bestechen und einschüchtern.

Klar, Jon van Caneghem erfindet das Genre nicht neu: Der rundenbasierte Kampf etwa adaptiert im Grunde die Konkurrenz mit den üblichen Mechanismen und muss zudem auf solche Nettigkeiten wie animierte Portraitbilder verzichten oder animierte Zauber verzichten. Grafisch ist Might and Magic 1 den ersten beiden Bard’s Tale-Folgen klar unterlegen. Wie gehabt sind auch hier Text- und Zahlenwüsten die vorherrschende Optik, was an sich nicht schlimm ist, nur eben keine neuen Akzente im Genre setzt.

Süffiges Hack&Slay

Aber so banal es sich anhört: Der vielleicht größte Vorteil des ersten mächtig magischen Abenteuers dürfte der Schwierigkeitsgrad sein: Während man in The Bard’s Tale von Glück reden konnte, wenn man mit der gurkigen Starttruppe Waffenhändler Garth erreichte, geht Might and Magic I deutlich gnädiger mit dem Spieler um. Zusammen mit der ausgeprägten Level-Progression, der Vielzahl an Loot, Gegnertypen und Zaubersprüchen haben wir es mit einem Hack&Slay-Gesamtpaket zu tun, das die Suchtspirale äußert süffig in Szene setzt. Und heute wissen wir: Might and Magic ist die langlebigste CRPG-Serie im westlichen Raum.


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