Es gibt Spiele, die lassen sich schwer in ein Genre stecken. Oft ist man sich dabei selbst im Weg -- etwa, wenn Kategorie und Szenario so stark etabliert sind, dass man ein Spiel außerhalb dieser Norm gar nicht mehr einzuordnen vermag.
Als klassischer Rollenspieler damaliger Zeit ist eine Sache klar: Rollenspiel = Fantasy = Monster am Fließband umhauen = Dungeons erkunden = Ausrüstung sammeln. Noch heute bilden diese Werte den Grundpfeiler vieler CRPGs -- auch wenn die Spielerschaft mittlerweile daran gewöhnt ist, nicht nur Orcs, sondern vielleicht auch laserbewaffnete Aliens zu erschlagen, um an wertvolle Exps und Loot zu gelangen.
Im Jahr 1986, im Releasejahr von Starflight, wird die Sache also brenzlig: Was ist das für ein Spiel, das eine bis dato unbekannte Firma namens Binary Systems unter EA-Label ins Leben gerufen hat? Eine Art Top-Down-Elite? Ein Strategiespiel? Eine Star Trek-Adaption oder am Ende doch ein CRPG? Die deutschen Kritiker waren sich damals uneinig: ASM steckte Starflight ins Stragegielager, für Powerplay war’s ein Rollenspiel. Die Historie sollte der Powerplay recht geben: Wer nach Rollenspielen sucht, findet Starflight darin verortet. Und nicht nur das: Der Titel gehörte zur damaligen Zeit der Speerspitze des Genres an und lässt heute noch viele Veteranen ins kollektive Schwärmen geraten.
Epische Vorgeschichte
Vieles, das sich um den Mythos Starflight dreht, hat mit der exzellent ausgearbeiteten Hintergrundgeschichte und dem intergalaktischen Völkergeflecht zu tun, deren Geheimnisse und Mythen während des Spiels nach und nach enthüllt aufdecken. Der Spieler beginnt im Jahre 4620 auf dem Planeten Arth, einem vergessenen Kolonieplaneten eines längst vergangenen Imperiums, der sich einer langen Phase von Kriegen und evolutionären Rückschritten endlich wieder auf dem Weg in die Raumfahrt befindet. Die ersten Forschungsschiffe werden ausgesandt, um neue Welten zu erkunden, unbekanntes Leben und fremde Zivilisationen. Eines dieser Schiffe steht unter unserem Kommando.
Passend dazu darf angemerkt werden, dass es möglich ist, sein Raumschiff auf einen Namen zu taufen und man braucht wenig Vorstellungskraft, um sich auszumalen, dass nicht wenige Nerds mit der ISS Enterprise unterwegs waren. Dazu passend die Charakterstellung, denn wir beginnen das Spiel mit einer Crew, die sich aus Posten wie dem Wissenschaftsoffizier, dem Navigator, dem Ingenieur oder dem Arzt zusammensetzt -- ein Schelm, der Star Trek dabei denkt. Der Clou dabei: Die Crew kann aus verschiedenen Rassen bestehen, die unterschiedliche Charakterwerte besitzen -- einige davon sind sich auch spinnefeind und sollten möglichst nicht zusammen auf der Brücke fungieren. Mittels Trainingspunkten lassen sich die Attribute zudem aufpumpen.
Das was man in gängigen CRPGs als Ausrüsten der Helden kennt, projiziert sich in Starflight auf das Schiff: Ob bessere Waffen oder stärkere Schilde, ob mehr Frachtraum oder ein besserer Antrieb: Das Schiff lässt sich in vielen Bereichen gegen Aufpreis um mehrere Stufen aufbessern und teilweise auch mit besonderen Artefakten ausstatten. In der damaligen Zeit drängt sich dem Spieler sofort der Vergleich zu Elite auf, bei dem das Verbessern des Schiffs ebenfalls zentraler Bestandteil ist.
Planetary Landings
Ist alle Vorbereitung abgeschlossen, startet das Schiff hoffnungsvoll ins All -- und sofort erhalten Star Trek-Anhänger den nächsten Seufz-Effekt, denn gesteuert wird das Schiff über Befehle an die einzelnen Offiziere: So lässt man den Navigator Kurs auf einen Planeten nehmen oder den Wissenschaftsoffizier die Atmosphäre des Selbigen analysieren. Wenn alles passt, erfolgt der nächste Gameplay-Part, der ein wenig an Mass Effect oder Elite Dangerous: Horizons (hier schließt sich wieder der Kreis) erinnert: Wir können auf Planeten landen und fahren dort mit einem Buggy umher, sammeln Rohstoffe, Artefakte, Hinweise und Storyfetzen, die wir gewinnbringend in Arth veräußern können.
Und so spielt sich Starflight wie ein riesiges Sandbox-Rollenspiel: Wir steuern eines der prozedural generierten 270 Sternsysteme an, erkunden eines der über 800 Planeten, sammeln, verkaufen und kommunizieren mit fremden Spezies, die wir auf unseren Reisen treffen. Die Dialoge und die sich daraus entwickelnden Aha-Effekte und Ereignisse sind das eigentliche Highlight des Spiels und übertreffen dabei die Konkurrenz der damaligen Zeit um Längen -- ähnlich tiefgehende Gespräche hat man bis dato höchstens in Ultima 4 vorgefunden. Ein weiterer Höhepunkt bildet der Humor des Spiels. Wer etwa zu Anfang die Bank besucht, findet dort als ersten Posten den Kauf eines Computerspiels vor. Welches das wohl sein mag?
Weniger legendär gibt sich hingegen der Kampf, der an Hektik kaum zu über- und an Spaßfaktor kaum zu unterbieten ist. Gut ist hingegen, dass sich das komplette Spiel theoretisch ohne Kampf meistern lässt. Witziges Detail am Rande: Das Spiel lässt zu, echte Kapitäns-Logs zu schreiben. Wer möchte, kann also die gesamte Spielzeit ingame dokumentieren.
Aus heutiger Sicht stellt sich Starflight in der ursprünglichen PC-Version als ziemlich sperrig heraus, da die Steuerung wenig intuitiv ist und sich die zahlreichen Texte ob der geringen Auflösung wenig schön lesen lassen. Grafisch darf der Titel auch nach damaligen Maßstäben ans untere Ende der Skala verortet werden und soundtechnisch ist man besser bedient, die Lautsprecher dauerhaft abzustellen. Jahre später folgten 16-Bit-Versionen für Amiga, Atari ST und eine besonders schöne Version für MegaDrive, die für viele als beste Umsetzung gilt. Das reine Gameplay hingegen ist aus historischer Sicht faszinierend: Starflight verwurstet viele Elemente aus anderen Spielen und der damaligen Popkultur und schafft mit diesem Mischmasch die Standards für ein Genre, das heute als Sandbox-Spiel in jedem gut sortierten Indie- und AAA-Spieleregal zu finden ist. Dieses Erbe kann man gar nicht hoch genug bewerten.
Wer sich allerdings aus rein nostalgischen Gründen die GOG-Version zulegt, mag enttäuscht werden: Aus heutiger Sicht muss man schon ein wenig leidensfähig sein, um an Starflight Spaß zu haben..