CRPG-Archiv: Wasteland

Sothi | 5. März 2017 | 20:01

Wasteland
Entwickler: Interplay
Publisher: Electronic Arts
Releasejahr: 1988
System(e): Apple II, C64, DOS
Diesen Titel hatte wohl kaum jemand auf der Rechnung: Obwohl Wasteland laut Brian Fargo satte fünf Jahre Entwicklungszeit verschlungen haben soll, erwischt Interplay die Spielerschaft ganz kalt mit einem Rollenspiel, das erstmalig in der CRPG-Historie nicht auf gängige Fantasy- oder Science Fiction-Pfaden wandelt, sondern mit einem postnuklearen Endzeit-Szenario seine Aufwartung macht. Der Name: Wasteland.

Wie eine Mad Max-Adaption

Das von Alan Pavlish entwickelte Wasteland wirkt auf den ersten Blick wie eine Mad Max-Adaption ohne Lizenz und beginnt im Jahre 2087: Der Großteil der Menschheit wurde durch den im Jahre 1998 geführten dritten Weltkrieg nahezu pulverisiert. Bis auf kleine Menschenenklaven, in denen es sich vergleichsweise angenehm leben lässt, dominieren dystopische Wüstengegenden, durchgeknallte Roboter und mutiertes Allerlei die Spielwelt. Wir verkörpern eine Gruppe so genannter Desert Ranger, die aus der ehemaligen US-Army hervorgegangen ist. Unser Auftrag: Die Gegend erkunden und sichern. Daraus ergibt sich dann relativ schnell der Hauptplot, der von einer zerstörerischen KI und einem durchgedrehten General erzählt, die die kläglichen Überreste der Menschheit vom Erdball tilgen möchte. Unschöne Sache, aber jemand muss sich wohl darum kümmern.

Ein Mix aus Bard’s Tale und Ultima 5

Wasteland könnte auf den ersten Blick als Mix zwischen Ultima und Bard’s Tale bezeichnet werden: Ziehen wir durch die postnukleare Welt, wählt das Spiel eine isometrische Ansicht die der Ultima-Serie gleicht. Bei Gesprächen kommt ein Textparser zum Einsatz, der allerdings weniger komplex ausgefallen ist als der, den Ultima 5 benutzt, welches im selben Jahr erscheint. Direkt aus Pool of Radiance geklaut (was natürlich quatsch ist, da auch der SSI-Titel 1988 erschien) scheint hingegen das Feature zu sein, größere Textpassagen direkt im Abenteuer-Journal nachlesen zu können. Fun Fact am Rande: Die Mannen um Brian Fargo waren kreativ genug, dieses Journal mit jeder Menge Fake-Einträge zu untergraben. Wer einfach liest, ohne tatsächlich an der jeweiligen Stelle im Spiel zu sein, wird also gehörig auf die Schippe genommen. Sehr clever, sehr witzig, meine Herren!

Kommt es zu einer feindlichen Begegnung schaltet Wasteland in eine Portrait-Ansicht um, die direkt aus The Bard’s Tale stammen könnte. Beginnt ein Kampf, bietet uns Wasteland zwar deutlich mehr Möglichkeiten der Interaktion, kommt es aber letztlich zum Gefecht, läuft dieser ebenfalls textbasiert in Runden ab -- inklusive der Entfernungsmechanik, die The Bard’s Tale 2 etabliert hat und in Wasteland aufgrund der Waffengattungen (Pistolen, Gewehre) eine deutlich größere Rolle spielt. Ein Unterschied zu Bard’s Tale fällt an dieser Stelle aber deutlich auf: Erfahrungspunkte nach dem Kampf gibt es nur für Charaktere, die den letzten Schlag angesetzt haben -- eine Mechanik, die mir einen leichten Hauch des Unbehagens über den Rücken gleiten lässt.

Wegweisendes Skillsystem

Wesentlich wichtiger und vor allem wegweisender ist da ein anderer Aspekt: Das Skillsystem. Während bereits Spiele wie Demon’s Winter oder Wizard’s Crown mit einem Skillsystem aufwarten konnten, etabliert sich hier eine neue Qualität: Zum einen, weil sich die Anzahl der wählbaren Skills aus dem Intelligenz-Attribut des Charakters ergibt und eine Auswahl bietet, die nicht nur in Kampfsituationen verwendet wird, zum anderen, weil die Skills durch die reine Benutzung steigen. Auch wenn dieser Mechanismus bereits ein Jahr zuvor bei Dungeon Master Verwendung fand, stellt dies zusammengenommen durchaus ein Alleinstellungsmerkmal dar und ist sicherlich ein Grund für den Erfolg, den Wasteland erfährt.

Die Skills werden dabei ähnlich wie in einem Pen&Paper-Rollenspiel aktiv genutzt: Wer klettern will, muss auswählen, dass er klettert (im Hintergrund wird eine Probe anhand der Skills durchgeführt). Wer suchen will, muss gezielt suchen. Und auch das erinnert mehr an P&P-Rollenspiele als viele andere Titel: Um etwas zu lösen, lassen sich mehrere Wege finden. Eine verschlossene Tür lässt sich etwa knacken, oder mit einem Vorschlaghammer bearbeiten, per Sprengstoff in die Luft jagen oder mit reiner Kraftanstrengung eintreten. Solcherlei Möglichkeiten finden sich in dieser Sandbox-angehauchten Spielwelt am laufenden Band. Doch das hat nicht immer Vorteile: Das ständige Wählen eines Skills, teilweise auf gut Glück, weil man ja gar nicht weiß, ob der Skill nun notwendig ist, ist wenig komfortabel und lässt sich designtechnisch tatsächlich in den 80er Jahren verorten.

An anderer Stelle wiederum gibt sich Wasteland durchaus bieder. Bei den Attributen (von Stärke bis Beweglichkeit) etwa hebt sich das Spiel nicht von der Konkurrenz ab, Interaktion mit den (rekrutierbaren) NPCs köchelt eher auf schwacher Flamme und aufgrund fehlender Tooltipps bei den Skills kann es durchaus vorkommen, dass man einfach die falschen Skills in sein Team packt und darunter massiv leiden muss. Auch in Sachen grafischer Präsentation und soundtechnischer Untermalung bleibt im Jahr 1 nach Dungeon Master nur dies zu sagen: Puhhh.

Ganz großes Kino

Sieht man einmal von diesen oberflächlichen Makeln ab, bietet Wasteland aber ganz großes Kino: Als einer der wenigen Titel der damaligen Zeit merkt sich das Spiel Änderungen in der Spielwelt und speichert diese permanent ab. Ein Prozess, der im Übrigen dazu führt, dass der Käufer vor dem ersten Spiel eine langwierige Kopie seiner Spieldisk machen muss. Ein weiteres Qualitätsmerkmal sind die Puzzles und Rätsel im Spiel: Teilweise fordernd, aber auch intelligent im Design -- so wie es eben sein soll.

Wasteland verkauft sich allein für Apple II und C64 rund 100 000 mal -- ein Achtungserfolg für das abgedrehte Szenario. Und Inspirationsquelle für weitere Spiele dieser Art -- etwa für die berühmte Fallout-Reihe aus der gleichen Schmiede.

Als Interplay sich vom reinen Entwickler zum Publisher wandelt, verbleiben die Namensrechte allerdings bei Electronic Arts (man versucht sich mit Fountain of Dreams an einem eigenen Nachfolger, scheitert aber kläglich) und wandern erst Jahre später wieder in Fargos Hände, der prompt ein via Kickstarter finanziertes Wasteland 2 (und demnächst) Wasteland 3 draus macht. Interessanterweise modernisiert inXile das erste Wasteland im Zuge dessen gleich mit und spendiert dem Titel zum Beispiel gesprochene Texte. Wer sich das Original heute nochmal zu Gemüte führen möchte, darf sich also über ein paar Komfortfunktionen freuen.

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