Der Spielwiese Podcast geht mit Folge #28 in die dritte CRPG-Folge und damit ins Jahr 1988.
Benni (aka Vampiro) und Alex (aka Sothi) besprechen im Goldenen Zeitalter der CRPGs den Beginn der berühmten Goldbox-Spiele namens Pool of Radiance und betrachten gemeinsam die Geburt eines neues RPG-Szenarios, das viele Jahr später noch für Furore sorgen soll: Die Postapokalypse in Form von Interplays Wasteland.
Auch die Weiterführung großer Serien findet 1988 statt: Origin geht mit Ultima V in die nächste Runde, Interplay führt mit The Thief of Fate die Bard's Tale-Saga fort, New World Computing verfeinert mit Might and Magic 2 sein Hack&Slay-Epos und ein gewisser David W. Bradley steigt mit Wizardry 5: Heart of the Maelstrom bei Sir-Tech ein.
Entwickler: Origin Systems
Publisher: Origin Systems
Releasejahr: 1988
System(e): Apple 2 (später in 88: DOS. Amiga, Atari ST (89). Weitere: C64, NES, FM Towns u.a.)
Mit der Geburt des ikonischen Avatars in Ultima 4: Quest of the Avatar und seiner viel besungenen Tugenden geht die Ultima-Reihe neue Wege -- weg vom gängigen Töte-den-Oberfiesling-Konzept hin zu einem echten Rollenspiel, das auf einer anderen spielerischen, aber auch erzählerischen Ebene operiert.
Auch Ultima V verpflichtet sich dieser Prämisse -- und schon die Vorgeschichte lässt vermuten, dass es Entwickler und Serienerfinder Richard Garriott darum geht, den Spieler zum Nachdenken zu bewegen: Seit einer Expedition in die Underworlds (hört, hört!) gilt Britannias Herrscher Lord British als verschollen. An seiner statt herrscht nun ein gewisser Lord Blackthorn, der die acht Tugenden zwar zum höchsten Maß aller Dinge ausgerufen, ihren Sinn aber ins Gegenteil pervertiert hat: wer etwa lügt, darf seine Zunge im nächsten Gulli suchen. Auf jede Missachtung der heiligen Tugenden folgen drakonische Strafen.
Der Avatar kehrt zurück
Als der Avatar durch seine alten Weggefährten Iolo und Shamino zurück nach Britannia geholt wird, machen sie sogleich mit drei Wesen unangenehme Bekanntschaft, die sich selbst als Shadowlords bezeichnen. Wie und ob diese Figuren mit dem Tyrannen Blackthorn zusammenhängen und was das alles mit Lord Britishs verschwinden zu tun hat, ist anfangs nicht klar. Klar ist aber: Die Meta-Ebene, die Garriott hier heraus schält ist abermals ein Seitenhieb gegen allzu fanatische Religionsanhänger, denn die Botschaft ist: Eine Absicht kann noch so gut gemeint sein -- falsch interpretiert, schadet sie.
Spielerisch beschreitet Ultima V konsequent den Weg seiner Vorgänger: Abermals ist offene Spielwelt zu erkunden, die vor Details nur so sprudelt -- in welchem Spiel lässt sich schon Klavier spielen, Gegenstände durch die Gegend schieben, Kanonen abfeuern oder NPCs bei ihrem Tagesablauf beobachten? Entsprechend dürfen wir auch erstmalig in der Reihe einen Tag-/Nachtzyklus erleben. Diese Freiheit hat freilich auch ihre Kehrseite: Als Ultima-Neuling ist das Hineinwerfen in diese Fülle an Möglichkeiten nicht jedermanns Sache und leicht überfordernd. Auch hat es die Ultima-Serie seit jeher nicht so sehr mit dem Ausrüstungs- und Levelwahn konkurrierender Produkte wie etwa der Bard’s Tale-Saga oder dem Might and Magic-Lager. Und: Pool of Radiance aus dem gleichen Jahr fand unter anderem deshalb so großen Anklang, weil es den Spieler behutsam an seine Aufgabe heranführt und dennoch Komplexität und Storyelemente miteinander verbindet.
Düsterer und gehaltvoller
Wer sich hingegen auf die britannische Welt einlässt, darf sich über eine rund doppelt so große Spielwelt wie noch im Vorgänger freuen. Auch ist der Grundton des Titels deutlich düsterer und Geschichte, Hintergründe und Gespräche bieten deutlich mehr Gehalt. Kurzum: Origin nimmt das Grundprinzip aus Teil 4 und verfeinert es zu einer Art Ultima Deluxe. Garriott wird später selbst zu Protokoll geben, dass Ultima 5 das bessere Spiel in Sachen Story und Spieltiefe sei. Außerdem darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass die 3D-Darstellung der Dungeons einen ordentlichen Schritt nach vorne gemacht hat.
Auf einige liebgewonnene Features muss der Spieler allerdings nicht verzichten: So dient der Charaktererschaffung abermals das Tarotkarten-Legen im Zigeunerwagen als Grundlage und kommt es zu einem Scharmützel schaltet das Spiel wie gehabt in einen separaten Kampfbildschirm -- neuerdings darf im Übrigen auch diagonal zugeschlagen werden und für Gespräche steht ein zweckdienlicher Parser zur Verfügung, der rudimentäre Gespräche zulässt. Immerhin wirken die Konversationen nun nicht mehr so einsilbrig, sondern weitaus dynamischer als noch in Quest of the Avatar. Und auch das hat sich nicht verändert: Die Benutzerführung funktioniert weiterhin über Tastenkürzel; das Mauszeitalter bricht für Ultima erst massiv in Teil sechs an.
Fehlende Klasse
Wie sehr sich Ultima bereits von anderen Rollenspielen entfernt hat, erkennt man sehr gut an der Charaktererschaffung. Während sich The Bard’s Tale 3 mit dreizehn Charakterklassen (davon allein sieben Zauberklassen) nahezu überschlägt und auch Might and Magic und Wizardry sein Klassenportfolio stetig erweitert, bleibt Ultima 5 ziemlich eigen: Abgesehen von den kultigen Entscheidungsmöglichkeiten bei den Karten, die unsere Attributwerte bestimmen, sind sämtliche Klassen und Rassen aus den Vorgängern wegrationalisiert: Wir beginnen als menschlicher Avatar -- das war’s.
Das gilt freilich nur für den Hauptcharakter -- Iolo und Shamino sind weiterhin Kämpfer und Barde, und dennoch: In welchen Rollenspiel der damaligen Zeit lässt sich keine Rasse oder Klasse bei der Charakterschaffung wählen? Apropos Begleiter: Unsere anfängliche Dreiergruppe lässt sich im Laufe des Spiels auf sechs Personen ausweiten -- für diesen Zweck schwirren immerhin 16 NPCs in der Spielwelt herum und warten nur darauf, sich unserem gerechten Kampf anzuschließen.
Abgesang an den Apple II
Ultima V wird das letzte Origin-Rollenspiel sein, das den Apple II als Entwicklungssystem hernimmt; ab The False Prophet (Ultima 6) ist der PC mit VGA-Unterstützung die Leadplattform. Außerdem ist Teil 5 auch die letzte Version, die von Richard Garriott selbst entwickelt wird -- in allen Nachfolgern ist Garriott nur noch beratend tätig.
Als die schönste Warriors of Destiny-Portierung der 80er gilt aber ohnehin die Amiga-Version, die im Übrigen mein erster Kontakt mit der Ultima-Serie darstellt und zudem eine wunderschöne Titel-Melodie mitbringt, die den anderen Versionen abgeht. Kleine Anekdote: Die Amiga Joker vergab für Ultima 5 ungewöhnliche 95% -- und ist damit das höchstbewertete Spiel dieses Magazins.
Entwickler: New World Computing
Publisher: New World Computing
Releasejahr: 1988
System(e): Apple II (später: DOS, Amiga, Mac, C64, Mega Drive, SNES u.a.)
Das konnte Jon Van Caneghem nicht auf sich sitzen lassen: Nachdem Scorpia, Redakteurin der Computer Gaming World, spezialisiert auf Computerrollenspiele, sein neuestes Might and Magic als Hack&Slay-Fest ohne Tiefgang in Story und Gameplay bezeichnete, schrieb dieser einen an Scorpia adressierten Leserbrief, der wutentbrannt erklärte, warum Gates to Another World kein Textadventure, sondern eben rein Rollenspiel sei und dass er selten so einen undifferenzierten Test gelesen hätte. Egal welchen Argumenten man folgt, eins steht fest: Mit Might and Magic - Book Two zementierte New World Computing den Anspruch darauf, mit Branchengrößen wie Wizardry oder The Bard’s Tale in einem Atemzug genannt zu werden; die Zeit wird der Serie recht geben.
Von VARN nach CRON
Wer den Erstling kennt, der 1986 das Licht der Welt erblickte, darf die Geschichte direkt weiterführen: Mittels der Gates to another World verlassen wir VARN, die Welt aus dem Vorgänger und stranden in CRON (Central Research Observational Nacelle), eine weitere Welt der so genannten Ältesten, die vom durchgeknallten Roboter-Wächter Sheltem in Schutt und Asche gelegt werden möchte. Und wer soll ihn aufhalten -- wenn nicht die altgedienten Recken des ersten Teils. Selbstredend, dass die Gruppe aus dem Vorgänger zu diesem Zweck übernommen werden kann.
Ja, auch Might and Magic 2 macht wieder kräftig Gebrauch vom bekannten Mix aus Fantasy und Science Fiction (inklusive Zeitreisen) -- wobei der Fantasyteil, das zur Beruhigung klassischer Rollenspieler, bei Weitem überwiegt. Und so besteht auch CRON aus den für die Serie typischen Biomen wie Schneelandschaften, Wüstengegenden oder Wäldern -- die der Packung beigelegte Karte und das üppige Handbuch schüren die Lust auf das Spiel bereits im Vorfeld an.
In seinem Brief an Scorpia beschreibt Van Caneghem, dass das Kampfsystem von Grund auf neu geschrieben wäre. Anmerken tut man es dem Kampf, der rundenbasiert wie im Vorgänger funktioniert, nur bedingt. Offensichtlichste Neuerung ist die Tatsache, dass die Monsterportraits während der Schlacht nun nicht mehr verschwinden, sondern schick animiert (auch das ist neu) erhalten bleiben.
Vorbildliche Automap, wechselbare Schwierigkeit
An anderer Stelle legt das Spiel hingegen sehr ordentlich vor: Neuerdings darf man sich über eine unheimlich gute Automap freuen. Sicher: Dieses Feature findet man ‘88 auch bei Pool of Radiance und The Bard’s Tale 3 -- dort jedoch längst nicht so gut umgesetzt. So kann die Karte permanent eingeblendet werden, zeichnet unseren Weg automatisch mit und hellt bereits erkundete Gebiete auf. Dieser Mechanismus, der uns damit sagt, welche Gebiete noch zu entdecken sind und welche bereits besucht wurden, ist für ein Automapping-System unheimlich wertvoll und findet sich in späteren Rollenspielen in nahezu jedem automatischen Kartensystem.
Doch das ist noch längst nicht alles: Als bis dato einziges Spiel seiner Art lässt sich der Schwierigkeitsgrad jederzeit dreistufig ändern. Wem die Kämpfe zu schwer sind, kann demnach den Grad herunterstufen und nahtlos weiterspielen. Neuerdings dürfen bis zu zwei Söldner anheuert werden, die zwei von insgesamt acht Charakterslots belegen. Die eigentliche Gruppe besteht demnach aus einer sechsköpfigen Mannschaft, die endlich mit jeder Menge kaufbarer Skills gepimpt werden kann. Nicht neu, aber auch nicht in jedem Konkurrenten zu finden: Geschlecht und Gesinnung wirken sich bisweilen darauf aus, welche Gebiete man besuchen darf.
Weit mehr als nur Monstermetzeln: Das Questsystem
Noch mehr Anerkennung als für derlei Zusatzfeatures ist vielleicht für das Questsystem aufzubringen. Das präsentiert sich nämlich vielschichtig: Neben der Hauptaufgabe findet man noch jede Menge weiterer Quests, die teilweise mehrteilig sind und zu größeren Quests oder zu klassenspezifischen Aufgaben führen. Oftmals sind hierfür Hinweise in den Dungeons zu finden. Insgesamt soll das Spiel an die 100 Quests bieten. Allein dieser Teilaspekt steckt die Konkurrenten The Bard’s Tale 3 und Wizardry 5 deutlich in die Tasche, die nicht viel mehr als pures Monstermetzeln und Charakterentwicklung bieten.
Wer nun aber dem Irrglauben erliegt, die Might and Magic-Serie habe sich von seinem Hack&Slay-Charakter abgewandt, könnte falscher nicht liegen. Wer sich durch die 30 Dungeons schlägt, trifft dabei auf eine Auswahl von gut 250 Gegnertypen, derer man mit neuen Charakterklassen erwehren kann: Der Ninja und der Barbar gesellen sich zu den sechs bereits bekannten Klassen hinzu. Die dadurch gewonnen Erfahrungspunkte lassen sich in zahllose Levelaufstiege packen -- das Spiel zelebriert die Looten&Leveln-Spirale mindestens genauso exzessiv wie der Bardenkollege.
Vorsintflutliche Features
Und natürlich ist auch in Might and Magic 2 nicht alles Gold, was glänzt: So lässt sich nach wie vor nur im Wirtshaus speichern, was bei manchen Spielern zu Recht als unzeitgemäß gilt. Stellt man Spiele wie Wasteland daneben, verblasst auch das magere Skillsystem zu einer “gut gemeint, aber wäre auch besser gegangen”-Beurteilung. Und zu guter Letzt darf man auch an dieser Stelle sagen: Ein Jahr nach Dungeon Master sind Zufallskämpfe, die unangekündigt aus dem Nichts auftauchen, eher Ärgernis als Feature. Aber dieses Problems wird sich, soviel darf ich spoilern, im dritten Teil angenommen.
Might and Magic II erschien ursprünglich für Apple II, bekam aber unzählige Portierungen auf andere Systeme -- etwa für PC und Amiga durch John R. Fachini, der im Übrigen auch die Umsetzungen von Ultima 1 und Ultima 5 für PC vornahm. Aber auch Konsolen wie Mega Drive und SNES gingen nicht leer aus und durften sich über ordentlich gemachte Portierungen freuen.
Entwickler: Interplay
Publisher: Electronic Arts
Releasejahr: 1988
System(e): C64, Apple II, DOS (90), Amiga (91)
Das hat gedauert: Obwohl Dungeons&Dragons für viele namhafte CRPGs als Inspirationsquelle galt, führte erst eine millionenschwere Kooperation zwischen TSR und SSI zu dem, was viele Pen&Paper-Fans lange Zeit als den digitalen (A)D&D-Gral anerkennen: Die sagenumwobenen Goldbox-Spiele. Und wer von Goldbox spricht, denkt in der Regel an Pool of Radiance, dem ersten von insgesamt 35 SSI-Titeln mit TSR-Lizenz.
Obwohl SSI zur damaligen Zeit in erster Linie für knallharte Strategiekost bekannt war, ist der strahlende Tümpel längst nicht das erste Rollenspiel aus deren Feder. Insbesondere Wizard’s Crown kann aus heutiger Sicht durchaus als Blaupause für einige Mechanismen angesehen werden, die später in Pool of Radiance für Furore sorgten -- allen voran das Kampfsystem, das frappierende Ähnlichkeiten zu diesem indirekten Vorgänger aufweist.
Kombinierte Stärken
Um die volle Größe von Pool of Radiance zu verstehen, muss man es im zeitlichen Kontext betrachten: Wir schreiben 1988, das Jahr, in dem Titel wie Ultima 5 und The Bard’s Tale 3 für Konkurrenz sorgen. Jedes dieser CRPGs bedient die Spielerschaft mit seinen typischen Stärken und Schwächen: Wer in Ultima unterwegs ist, darf sich über eine riesige offene Spielwelt und jede Menge Details freuen, verpasst aber in Sachen Kampfsystem und Charakterentwicklung die letzte Konsequenz. Das wiederum ist die Stärke der Barden-Saga: Ein Hack&Slay-Porn vom Feinsten, nur lässt das Spiel eben Tiefe vermissen. Und hier setzt SSI an: Was wäre, wenn man epische Kämpfe mit einem tollen rundenbasierten System garniert und gleichzeitig die Handlung in nie gekannter Weise in Szene setzt? Und obendrüber noch die vielleicht begehrteste Lizenz der damaligen Zeit stülpt? Die Antwort kennen wir heute.
Bieder auf den ersten Blick
Dabei gibt sich Pool of Radiance im ersten Moment recht bieder: Aus gerade mal vier Klassen und einer Handvoll Standardrassen lässt sich eine sechsköpfige Heldentruppe zusammenschustern. Wer möchte, kann AD&D-konform Multiklassen zusammenbauen und zwei NPCs mit auf die Reise nehmen, die allerdings völlig autark in den Kampf ziehen. Das Spielinterface scheint direkt von The Bard’s Tale inspiriert -- besteht es doch aus der heiligen Dreifaltigkeit: Spielausschnitt, Gruppenauflistung und ein Bildschirm, auf dem aktuelle Geschehnisse schriftlich aufgeführt werden.
Das haut erstmal niemanden vom Hocker, doch der Clou folgt in den Kämpfen: Sobald es zur Konfrontation kommt, schaltet Pool of Radiance in eine Wizard’s Crown-angehauchte, isometrische Ansicht um, die die Kämpfe um ein Vielfaches taktischer macht als bei einem Bard’s Tale oder Wasteland, aber sich gleichzeitig sehr eingängig, ja fast fluffig spielen lässt. Man möchte fast sagen: Die Kämpfe in SSI Goldbox-Titeln sind mitunter das Highlight der Serie. Und selbst Taktikmuffel dürfen sich freuen: Wer keine Lust hat, alles selbst auszufechten, lässt die KI einfach im Automatik-Modus übernehmen. Nie zuvor waren Rollenspielkämpfe so schön, und es sollte viele Jahre dauern bis ein anderes D&D-Rollenspiel auf Basis der so genannten Infinity-Engine einen zugänglicheren Taktikkampf entwickelt. Da passt es auch ganz gut, dass die eigentliche Aufgabe des Spiels darin besteht, einzelne Bezirke der Stadt Phlan von Monstern zu säubern. Simpel, aber irgendwie auch straight und klar. Und mehr braucht es manchmal auch nicht.
Regelgetreue Umsetzung
Aber das Kämpfen ist natürlich nicht das Einzige, das für Pool of Radiance spricht. Vielmehr sind D&D-Veteranen (und nicht nur die) hocherfreut darüber, endlich ein Computerspiel in der Hand zu haben, das die Regeln der TSR-Vorlage nicht nur umsetzt, sondern fast schon lebt. D&D-Spieler fühlen sich sofort wie zuhause, was natürlich auch am bekannten Forgotten Realms-Szenario liegt, und Pen&Paper-Unwissende (so wie Autor dieser Zeilen) freut sich unheimlich über das komplexe Regelwerk, das auch im beiliegenden Handbuch mit allerlei Tabellen und Zahlenwerk eindrucksvoll erläutert wird. Endlich mal eine Spielmechanik mit Tiefgang und damit so etwas wie ein Gegenentwurf zu Ultima 5, das mehr Wert auf seinen Open-World-Charakter und die darin stattfindende Interaktion legt, als auf Gefechtsmechanik oder Leveltabellen legt.
Wer nun aber glaubt, Pool of Radiance sei ausschließlich eine Kombination zwischen Hack&Slay und Regelfetischismus, liegt falsch: Der dritte Pfeiler, der auch spätere Goldbox-Spiele ausmacht, ist die unheimliche Atmosphäre, die die Beschreibungstexte einzelner Locations liefern: Wer einen besonderen Ort besucht, darf ähnlich wie das im selben Jahr erschienene Wasteland einen Blick ins Abenteuerjournal werfen und die entsprechende Textpassage lesen -- ganz so, wie es in einem Pen&Paper-Rollenspiel ein Spielleiter tun würde. Daraus ergeben sich sehr interessante Geschichten, Details und eine Hintergrundstory, die man in dieser Kombination selten findet. Man könnte sagen, dass es mit Pool of Radiance endlich ein Titel geschafft hat, dichte Rollenspielatmosphäre mit einer zugänglichen Spielmechanik zu kombinieren. Viele weitere Goldbox-Titel werden über die nächsten Jahre hinweg erfolgreich auf dieser fruchtbaren Kombination aufbauen.
Pool of Radiance, das ca. ein Jahr mit einer 35-Mann starken Truppe entwickelt wurde, feierte sein Debüt für den C64 und, wie sollte es anders sein, für den unvermeidlichen Apple II. Später durften sich auch DOS- und Amiga-Jünger über eine Portierung freuen. Und Gerüchten zufolge soll da draußen eine Version für Nintendos NES herumschwirren.
Goldbox-Engine überall
Es sollten mit Curse of the Azure Bonds, Secret of the Silver Blades und dem abschließenden Pools of Darkness noch drei weitere Spiele der Serie folgen, parallel fand die Goldbox-Engine auch Anwendung im damals äußerst populären DragonLance-Szenario (Champions of Krynn, Death Knights of Krynn, Dark Queen of Krynn) oder in einer famosen SF-Umsetzung des Buck Rogers-Szenarios. Eine 2001 erschienene Neuauflage (nicht mehr von SSI) namens Pool of Radiance: Ruins of Myth Drannor floppte derart, dass puristische TSR-Jünger diesen Ausrutscher am liebsten aus den Annalen der CRPG-Historie streichen würden.
Entwickler: Interplay
Publisher: Electronic Arts
Releasejahr: 1988
System(e): C64, Apple II, DOS (90), Amiga (91)
Thief of Fate als Brian Fargos Stiefkind zu bezeichnen, wäre wahrscheinlich ziemlich passend: Nach den internen Querelen, die mit The Bard’s Tale 2 einhergingen, wollte der Interplay-Chef von einem dritten Teil wenig wissen und konzentrierte sich auf die Entwicklung eines für ihn weitaus interessanteren Projektes, das auf den Namen Wasteland getauft wurde.
Darf man demnach der Historie glauben, ist es der Hartnäckigkeit des Bard’s Tale Co-Programmierers Bill Heinemann (der später zur Rebecca wurde) zu verdanken, dass der dritte Teil dennoch in Produktion ging -- jedoch nicht unter idealen Voraussetzungen: Während Wasteland mit einem gut ausgestatten Team von rund fünfzehn Entwicklern ans Werk ging, war Heinemann mit ihrer vierköpfigen Truppe nahezu auf sich allein gestellt. Nicht mehr dabei war übrigens Michael Cranford, der bei Fargo in Ungnade gefallen und in Heinemanns Gunst irgendwo auf der Niemanslandsland-Skala zu finden war. Interessant: Nicht mal in den Danksagungen verschwendete Heinemann ein Wort an Serienerfinder Cranford -- das spricht Bände.
Thief of Fate, das ähnlich wie die vorherigen Teile in der ursprünglichen Planungsphase Tales of the Unknown: The Thieves Tale heißen sollte, war dann auch weder technisch, noch vom grundlegenden Gameplay her ein deutlicher Schritt nach vorne: Zwar schrieb Heinemann laut eigenen Angaben den kompletten Code neu (da der cranfordsche Code zu schlecht gewesen sei), dem Spiel selbst merkt man dies allerdings nur an wenigen Stellen an -- etwa bei den optimierten Ladezeiten.
Rückkehr nach Skara Brae
Zur Vorgeschichte, die im Grunde direkt an The Bard’s Tale 1 anknüpft: Kaum wurde Mangar aus vertrieben, schiebt sich schon die nächste Gewitterwolke über Skara Brae: Tarjan, der verrückte Gott (Bard’s Tale 1-Veteranen erinnern sich), ist darüber erzürnt, dass mit Mangar einer seiner Jünger vernichtet wurde und überfällt Skara Brae noch am Tag der großen Feier mit seinen Horden der Finsternis. Übrig bleiben Tod und Verwüstung, selbst altgediente Recken wie Garth werden von den Trümmern auf Nimmerwiedersehen verschüttet.
Unser Abenteuer beginnt in einem Flüchtlingscamp vor den Ruinen von Skara Brae. Die Stadt ist weitgehend als eine Art Bootcamp für Spieler gedacht, die ihre Charaktere nicht aus dem Vorgänger übernommen haben. Wer das Anfängerdungeon abschließt, wird direkt auf Level 35 katapultiert und beginnt das eigentliche Spiel: Bis wir Tarjan besiegt haben, besuchen wir sieben Parallelwelten, um die für den Sieg notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Nachteil des ganzen Prozedur: Es warten zwar jede Menge Kämpfe auf uns, doch die daraus resultierenden Levelaufstiege wirken sich kaum noch auf die Fähigkeiten und Zauberspruchvielfalt aus -- die befinden sich da nämlich schon weitgehend in unserem Besitz.
Höher, schneller, weiter
Spielerisch haben wir es wieder mit einem waschechten Hack&Slay-Titel der alten Bard’s Tale-Schule zu tun: Erneut bugsieren wir unsere Party (bestehend aus maximal sieben Protagonisten) in Egoperspektive durch mehrheitlich zufallsbasierte Kämpfe. Kommt es zu einer Begegnung, darf der Spieler auch mal die Beine in die Hand nehmen, um zu fliehen. Gelingt das nicht, wechselt das Spiel in den bekannten textbasierten Rundenkampf, der wieder solche Kleinigkeiten wie Entfernungen kennt. Neu ist, dass der namensgebende Dieb massiv aufgewertet wurde: dieser darf sich neuerdings im Kampf verstecken und aus den Schatten heraus kritische Treffer abgeben. Ungünstig: Wer das Spiel ohne Thief beginnt, kann den Titel aufgrund des Fehlens dieser Spezialfähigkeit nicht schaffen.
Aber auch an anderer Front wurde mächtig aufgestockt: Die Anzahl der wählbaren Klassen beträgt nun satte dreizehn, darunter alleine sieben Zauberklassen (neu dabei: Geomancer und Chronomancer), die mit weit über 100 Zaubersprüchen um sich werfen. Wer auf Loot steht, findet hier ebenso sein El Dorado: Über 500 Monster lassen ca. doppelt so viele Gegenstände wie noch im Vorgänger liegen -- man könnte also sagen, Heinemann hat das Bard’s Tale-Prinzip ziemlich auf die Spitze getrieben.
Komfortfunktionen halten Einzug
Es gibt aber auch einige wirkliche Neuerungen, die sich meist in Komfortfunktionen äußern: Automapping ist nun mit am Start, wenn auch keines, das besonders gut in Szene gesetzt wäre -- hier war Might and Magic II im selben Jahr bereits einen Schritt weiter. Speichern ist nun außerhalb des Wirtshauses möglich, was sich als wahrer Segen entpuppt, selbst wenn es weiterhin nur einen jämmerlichen Spielstand gibt. Zu den Neuerungen gehört auch, dass das Spiel nun über einen Tag-/Nachtwechsel verfügt, der zum Teil andere Monster hervorbringt. Was das Spiel dennoch vermissen lässt, sind tiefgründige Gespräche mit den NPCs oder erklärende Geschichte. So ist etwa bis zum Ende nicht klar, wie die ganzen Parallelwelten miteinander zusammenhängen; welche Hintergrundgeschichte sich hier verbirgt.
Eine verpasste Chance, wie ich finde.
Nimmt man all dies zusammen, darf man festhalten, dass wir es hier mit einem echten Looten&Leveln-Porno zu tun haben. Heinemann entwickelte alles nach dem Prinzip: Mehr und größer. Aber wird der Titel dadurch auch besser? Nur bedingt: Thief of Fate mag faktisch das beste Bard’s Tale der Serie sein, aber 1988 wirkt das Spiel im Vergleich zu Titeln wie Pool of Radiance und dem ewigen Konkurrenten Ultima fast schon anachronistisch. Da wundert es wenig, dass es bis heute (Stand Februar 2017) noch keinen offiziellen Nachfolger gibt.
Entwickler: Interplay
Publisher: Electronic Arts
Releasejahr: 1988
System(e): Apple II, C64, DOS
Diesen Titel hatte wohl kaum jemand auf der Rechnung: Obwohl Wasteland laut Brian Fargo satte fünf Jahre Entwicklungszeit verschlungen haben soll, erwischt Interplay die Spielerschaft ganz kalt mit einem Rollenspiel, das erstmalig in der CRPG-Historie nicht auf gängige Fantasy- oder Science Fiction-Pfaden wandelt, sondern mit einem postnuklearen Endzeit-Szenario seine Aufwartung macht. Der Name: Wasteland.
Wie eine Mad Max-Adaption
Das von Alan Pavlish entwickelte Wasteland wirkt auf den ersten Blick wie eine Mad Max-Adaption ohne Lizenz und beginnt im Jahre 2087: Der Großteil der Menschheit wurde durch den im Jahre 1998 geführten dritten Weltkrieg nahezu pulverisiert. Bis auf kleine Menschenenklaven, in denen es sich vergleichsweise angenehm leben lässt, dominieren dystopische Wüstengegenden, durchgeknallte Roboter und mutiertes Allerlei die Spielwelt. Wir verkörpern eine Gruppe so genannter Desert Ranger, die aus der ehemaligen US-Army hervorgegangen ist. Unser Auftrag: Die Gegend erkunden und sichern. Daraus ergibt sich dann relativ schnell der Hauptplot, der von einer zerstörerischen KI und einem durchgedrehten General erzählt, die die kläglichen Überreste der Menschheit vom Erdball tilgen möchte. Unschöne Sache, aber jemand muss sich wohl darum kümmern.
Ein Mix aus Bard’s Tale und Ultima 5
Wasteland könnte auf den ersten Blick als Mix zwischen Ultima und Bard’s Tale bezeichnet werden: Ziehen wir durch die postnukleare Welt, wählt das Spiel eine isometrische Ansicht die der Ultima-Serie gleicht. Bei Gesprächen kommt ein Textparser zum Einsatz, der allerdings weniger komplex ausgefallen ist als der, den Ultima 5 benutzt, welches im selben Jahr erscheint. Direkt aus Pool of Radiance geklaut (was natürlich quatsch ist, da auch der SSI-Titel 1988 erschien) scheint hingegen das Feature zu sein, größere Textpassagen direkt im Abenteuer-Journal nachlesen zu können. Fun Fact am Rande: Die Mannen um Brian Fargo waren kreativ genug, dieses Journal mit jeder Menge Fake-Einträge zu untergraben. Wer einfach liest, ohne tatsächlich an der jeweiligen Stelle im Spiel zu sein, wird also gehörig auf die Schippe genommen. Sehr clever, sehr witzig, meine Herren!
Kommt es zu einer feindlichen Begegnung schaltet Wasteland in eine Portrait-Ansicht um, die direkt aus The Bard’s Tale stammen könnte. Beginnt ein Kampf, bietet uns Wasteland zwar deutlich mehr Möglichkeiten der Interaktion, kommt es aber letztlich zum Gefecht, läuft dieser ebenfalls textbasiert in Runden ab -- inklusive der Entfernungsmechanik, die The Bard’s Tale 2 etabliert hat und in Wasteland aufgrund der Waffengattungen (Pistolen, Gewehre) eine deutlich größere Rolle spielt. Ein Unterschied zu Bard’s Tale fällt an dieser Stelle aber deutlich auf: Erfahrungspunkte nach dem Kampf gibt es nur für Charaktere, die den letzten Schlag angesetzt haben -- eine Mechanik, die mir einen leichten Hauch des Unbehagens über den Rücken gleiten lässt.
Wegweisendes Skillsystem
Wesentlich wichtiger und vor allem wegweisender ist da ein anderer Aspekt: Das Skillsystem. Während bereits Spiele wie Demon’s Winter oder Wizard’s Crown mit einem Skillsystem aufwarten konnten, etabliert sich hier eine neue Qualität: Zum einen, weil sich die Anzahl der wählbaren Skills aus dem Intelligenz-Attribut des Charakters ergibt und eine Auswahl bietet, die nicht nur in Kampfsituationen verwendet wird, zum anderen, weil die Skills durch die reine Benutzung steigen. Auch wenn dieser Mechanismus bereits ein Jahr zuvor bei Dungeon Master Verwendung fand, stellt dies zusammengenommen durchaus ein Alleinstellungsmerkmal dar und ist sicherlich ein Grund für den Erfolg, den Wasteland erfährt.
Die Skills werden dabei ähnlich wie in einem Pen&Paper-Rollenspiel aktiv genutzt: Wer klettern will, muss auswählen, dass er klettert (im Hintergrund wird eine Probe anhand der Skills durchgeführt). Wer suchen will, muss gezielt suchen. Und auch das erinnert mehr an P&P-Rollenspiele als viele andere Titel: Um etwas zu lösen, lassen sich mehrere Wege finden. Eine verschlossene Tür lässt sich etwa knacken, oder mit einem Vorschlaghammer bearbeiten, per Sprengstoff in die Luft jagen oder mit reiner Kraftanstrengung eintreten. Solcherlei Möglichkeiten finden sich in dieser Sandbox-angehauchten Spielwelt am laufenden Band. Doch das hat nicht immer Vorteile: Das ständige Wählen eines Skills, teilweise auf gut Glück, weil man ja gar nicht weiß, ob der Skill nun notwendig ist, ist wenig komfortabel und lässt sich designtechnisch tatsächlich in den 80er Jahren verorten.
An anderer Stelle wiederum gibt sich Wasteland durchaus bieder. Bei den Attributen (von Stärke bis Beweglichkeit) etwa hebt sich das Spiel nicht von der Konkurrenz ab, Interaktion mit den (rekrutierbaren) NPCs köchelt eher auf schwacher Flamme und aufgrund fehlender Tooltipps bei den Skills kann es durchaus vorkommen, dass man einfach die falschen Skills in sein Team packt und darunter massiv leiden muss. Auch in Sachen grafischer Präsentation und soundtechnischer Untermalung bleibt im Jahr 1 nach Dungeon Master nur dies zu sagen: Puhhh.
Ganz großes Kino
Sieht man einmal von diesen oberflächlichen Makeln ab, bietet Wasteland aber ganz großes Kino: Als einer der wenigen Titel der damaligen Zeit merkt sich das Spiel Änderungen in der Spielwelt und speichert diese permanent ab. Ein Prozess, der im Übrigen dazu führt, dass der Käufer vor dem ersten Spiel eine langwierige Kopie seiner Spieldisk machen muss. Ein weiteres Qualitätsmerkmal sind die Puzzles und Rätsel im Spiel: Teilweise fordernd, aber auch intelligent im Design -- so wie es eben sein soll.
Wasteland verkauft sich allein für Apple II und C64 rund 100 000 mal -- ein Achtungserfolg für das abgedrehte Szenario. Und Inspirationsquelle für weitere Spiele dieser Art -- etwa für die berühmte Fallout-Reihe aus der gleichen Schmiede.
Als Interplay sich vom reinen Entwickler zum Publisher wandelt, verbleiben die Namensrechte allerdings bei Electronic Arts (man versucht sich mit Fountain of Dreams an einem eigenen Nachfolger, scheitert aber kläglich) und wandern erst Jahre später wieder in Fargos Hände, der prompt ein via Kickstarter finanziertes Wasteland 2 (und demnächst) Wasteland 3 draus macht. Interessanterweise modernisiert inXile das erste Wasteland im Zuge dessen gleich mit und spendiert dem Titel zum Beispiel gesprochene Texte. Wer sich das Original heute nochmal zu Gemüte führen möchte, darf sich also über ein paar Komfortfunktionen freuen.