Dragon Age: Origins avancierte 2009 zu meinem Spiel des Jahres. Schon damals, und noch mitten im Spielrausch gefangen, resümierte ich "Bereits jetzt ertappe ich mich dabei, mir insgeheim zu wünschen, dass ich noch möglichst viele Spielstunden mit Dragon Age verbringen kann; dass das Spiel irgendwann vorbei sein könnte, möchte ich mir einfach nicht vorstellen." – und fast schien es so, als hätte BioWare mein Flehen erhört, brach doch ein DLC-Ausstoß unbegreiflichen Ausmaßes über uns Spieler herein.
Dass die meisten dieser Download-Happen weder quantitative (= Spielzeit), noch qualitative Ansprüche erfüllten, war die Kehrseite der Medaille. Und als schon alle Hoffnung auf eine adäquate Verlängerung verloren zu sein schien, passierte das Unvorstellbare: BioWare kehrte zu alten Tugenden zurück und gab uns eine echte Erweiterung, eine vom alten Schlag, eine, die wir von den Meistern der Rollenspiele gewohnt waren. Ihr Titel: Awakening.
Sogwirkung: 20 Stunden in drei Tagen
Ich gebe zu, dass ich mir mit Awaking recht lange Zeit gelassen habe – vermutlich aus Respekt vor der Sogwirkung, die das Spiel auf mich ausüben würde. Und so kam es dann auch, als ich das Spiel schließlich begann: Innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Tagen peitschte ich meine Gruppe durch die Ostküste Fereldens, legte mich zu jeder sich bietenden Gelegenheit mit der dunklen Brut an und sah schließlich nach 17 Stunden und einer Minute den Abspann über den Bildschirm laufen.
Aber: Insgesamt dürften es wohl knapp 20 Stunden gewesen sein, denn das Ende, das sich in verschiedene Möglichkeiten gabelt, spielte ich zweimal. Und genau das ist das große Dragon Age-Qualitätsmerkmal: Entscheidungen haben Auswirkungen – vielleicht nicht immer die, die wir uns wünschen, aber es bewegt sich was in der Spielwelt – und das tut der Atmosphäre ungemein gut. Leider lassen die Entwickler im Rahmen dieses Konzeptes manchmal die Transparenz vermissen: Wie und wann sich einige unserer Antworten auswirken, liegt oft im Dunkeln und kommt erst im weiteren Spielverlauf zum Tragen. Wenn man dann gerafft hat, was unsere Entscheidung eigentlich bewirkt hat, ist der Zug natürlich schon längst abgefahren – außer natürlich, man lädt einen vorherigen Spielstand.
Herr der Festung
Dragon Age: Awakening knüpft fast nahtlos an die Ereignisse des Hauptspiels an: Als Held Fereldens und einer der führenden Köpfe der Grauen Wächter, erhalten wir das Arltum Amaranthine, dessen Ländereien durch die Burgfestung Vigils Wacht beschützt werden. Als Kommandant eben jener Trutzburg obliegt es nun uns, diese zu verwalten. In Awakening äußert sich dies in der Regel durch Quests, die es zu erfüllen gilt: Drückt man dem Baumeister etwa 80 Gold in die Hand, baut er die Befestigung der Mauern stärker aus. Oder man bringt diverse Händler dazu, sich in Vigils Wacht niederzulassen, was von unserer Hofmeisterin wohlwollend aufgenommen wird. Auch darf sich der Spieler um die Soldatenverteilung kümmern: Sollen mehr Soldaten zum Schutz der Händler abgestellt werden? Oder eher die Farmen der Bauern beschützt werden?
Unterm Strich gaukeln diese Entscheidungen eine gewisse herrschaftliche Freiheit vor, etwas Mut zu mehr spielerischem Untergrund (wie wäre es mal mit einer Mini-Wirtschaftssimulation à la Assassins Creed 2?) hätte dem Konzept aber sicherlich gut getan.
Doch bleiben wir bei der Kerndisziplin, dem Rollenspiel, und hier punktet die Erweiterung mit allem, was auch schon das Hauptspiel so groß gemacht hat: Tolle Story, dichte Atmosphäre, gesprächige Mitstreiter. Und hier hat BioWare eine Reihe neuer Charaktere ausgearbeitet, von denen uns wie gehabt nur eine begrenzte Anzahl (die Gruppe besteht aus maximal vier Personen) begleiten dürfen.
Frisches Heldenblut
Man kann es nun als Chance begreifen oder als Verlust bezeichnen, aber von den alten Recken steht nur noch der Zwerg Oghren zur Verfügung -- alle anderen haben maximal einen Gastauftritt oder melden sich per Briefpost. Von Morrigan, der Sexy-Hexy aus dem Hauptspiel, fehlt in Awakening, soviel sei an dieser Stelle verraten, leider jede Spur. Überhaupt gibt sich BioWare dieses Mal prüde: Romanzen oder gar sexuelle Betätigungen gibt es diesmal nicht und auch die ausufernden Gespräche, die in Origins fast schon ins nervige "Abklappern" übergingen, wurden zusammengestrichen.
Dafür sind die neuen Charaktere nicht minder gut ausgearbeitet wie ihre Vorgänger: Egal ob wir mit dem flapsigen Magier Anders unterwegs sind oder den eher reservierten Menschen-Geist Gerechtigkeit in unsere Gruppe integrieren: Für interessante Geschichten und Interaktionen zwischen den Party-Mitgliedern ist stets gesorgt.
Wer seinen Origins-Charakter nach Awakening importiert, und das ist der Normalfall, sollte das Spiel eventuell auf einem höheren Schwierigkeitsgrad beginnen. Denn auf "normal" tut sich der passionierte Rollenspieler kaum einen Gefallen: Mit einer einigermaßen sinnvoll zusammengestellten Gruppe und den passenden KI-Einstellungen wirbelt die Party im Eiltempo durch Horden feindlicher Brut und macht selbst mit Bossmobs der Kategorie Orange kurzen Prozess. Taktisches Ausarbeiten oder gar mehrmaliges Neustarten bei speziellen Kämpfen ergibt sich gar nicht. Anders ausgedrückt: Der Schwierigkeitsgrad im Vergleich ist zum Vorgänger deutlich gesunken.
Fazit: Das Origins-Konzentrat – hoch dosiert, aber gut verträglich
Wer hätte das gedacht? Die Meister der halbgaren DLCs kehren zu alten Tugenden zurück und präsentieren uns mit Awakening eine wunderbare Erweiterung, die den Kurzabenteuern der Marke "1 Stunde Spielzeit" eine lange Nase zeigt und dabei alle Tugenden des Hauptspiels in sich vereint und in komprimierter Form weitergibt.
Tatsächlich wirkt Awakening nämlich wie ein hochdosiertes Konzentrat aus Origins, erbt damit also dessen Stärken (Story, Charakter-Interkation, Atmosphäre, schön ausgearbeitete Spielwelt), aber auch die geringfügigen Schwächen (Schlauchlevels, veraltete Technik). Dass ich dabei selten Berührungspunkte mit den altgedienten Recken aus dem Hauptspiel habe, führt zu leichter Wehmut, darf andrerseits als Chance verstanden werden, weitere interessante Charakterköpfe kennenzulernen.
Zusammenstutzt wurden interessanterweise die Gespräche mit meinen Gruppenmitgliedern: Aktives Triggern von Unterhaltungen ist nun fast nicht mehr möglich und Romanzen hat der Entwickler sogar komplett gestrichen. Bedeutet weniger Gelaber und dafür größeren Fokus auf die Kämpfe. Kann man mögen, muss man aber nicht.
Was die Kämpfe angeht, sollte man sich ohnehin über eines im Klaren sein: Taktik braucht nur noch der, der sich den Schwierigkeitsgrad höher stellt. Auf "normal" kann man sich entspannt zurücklehnen und daran ergötzen, wie der Schurke mit seinen zwei Mörderdolchen unter der Einwirkung von Hast wie ein Derwisch durch die gegnerischen Horden wirbelt.
Unterm Strich ist Dragon Age: Awakening in Zeiten, in denen Erweiterungen als Vollpreisspiele verkauft werden (Total War: Napoleon, anyone?) und DLCs in die Fußstapfen des klassischen Add Ons getreten sind, eine echte Wohltat für des Rollenspielers Seele und geradezu ein Muss für jeden, der mit Dragon Age eine gute Zeit verbindet. Gleichzeitig bedeutet dies natürlich auch: Wer mit Origins schon nichts anfangen konnte, kann sich nach Lesen dieser Zeilen nach einem anderen Spiel umschauen.
Wertung: 10/12