Dragon Age

Der geistige Nachfolger eines Baldur's Gate soll es sein, jenem schillerendem Stück Software, dem es gemeinhin zugeschrieben wird, das Rollenspielgenre gerettet zu haben -- gerettet aus den Tagen der tiefen Hack&Slay-Finsternis, in der Blizzards Diablo als das Rollenspiel der Superlative galt und sich altehrwürdige Reihen wie die große Might&Magic-Saga langsam, aber stetig ihr eigenes Grab schaufelten. Es soll in seine Fußstapfen treten, ohne darin zu versinken; wenn seine Schöpfer davon sprechen, entsteht der Eindruck, als würde es die ruhmreichen Ahnenreihe sogar noch überstrahlen. Nicht wenige halten dieses Vorhaben für unmöglich, sprechen gar von Blasphemie. Klarheit erhalten nur jene, die es spielen -- und sich ganz der Spielwelt von Dragon Age: Origins hingeben.

Eine poetische Einleitung, die versucht einem Spiel gerecht zu werden, das reine Poesie verspricht. In jeder einzelnen meiner bislang 20 Spielstunden kristallisiert sich immer mehr heraus, dass ich es hier mit einem ganz großen Titel zu tun habe -- einem, der das Zeug hat, Baldur's Gate tatsächlich zu beerben. Doch was muss ein Spiel verkörpern, um als legitimer Nachfolger zu gelten? Welche Errungenschaften brachte Bioware einst in die Welt der Computerrollenspieler? Drehen wir die Zeit einen Moment zurück.

Den Ahnen auf der Spur

Auch wenn sich Veteranen vermutlich mit feuchten Augen an die fünf CDs erinnern werden, die vollgespickt mit detailliert vorberechneten Hintergründen eine neue Grafikqualität in das Rollenspielgenre einführten, spielt dies in unserer Zeit natürlich keine Rolle mehr. Welche Baldur's Gate-Tugenden könnte für die heutige Rollenspielgeneration also von Interesse sein? Das Fantasy-Setting? Wohl kaum. Der pausierbare Taktikkampf? Schon eher. Die Interaktion zwischen den Charakteren? Check! Die atmosphärische Hauptgeschichte, die storylastigen Nebenquests? Aber natürlich! Insbesondere der zweite Teil des Franchises fesselte wie kaum ein zweites Spiel aufgrund der Verhaltensmuster einzelner Gruppenmitglieder, deren Reaktionen untereinander und den damit verbundenen Konsequenzen. Und kaum ein ein anderer Titel schaffte es besser, Quests und Orte so interessant zu verpacken wie die Schatten von Amn es taten. Egal welchen Ort man betrat, egal welchen NPC man traf: Stets gab es interessante Details über die Spielwelt (in diesem Fall Faerun) zu lesen oder zu erfahren.

Was von all dem kann Dragon Age für sich verbruchen? Interessant wird es, wenn man mal die Spielmechanik ein wenig auf sich wirken läßt. Bereits die Art und Weise, in der nicht benötigte Partymitglieder "geparkt" werden, spricht Bände. Fungierte in einem anderen Bioware-Titel noch das Raumschiff Ebon Hawk als zentrale Sammelstelle für unsere Recken, übernimmt diese Funktion nun das "Lager". Hüben wie drüben kam der Spieler mit den Gruppenmitgliedern ins Gepräch, konnte diverse Themen anbohren und sich damit neue Konversationswege eröffnen. Die Zu- oder Abneigung, die der Charakter als Reaktion auf diese Gespräche zeigt und die beiläufigen Gespräche unter den Gruppenmitgliedern, die schlauchartigen Spielabschnitte -- all dies und noch vieles mehr lässt vor meinem geistigen Auge immer wieder ein Spiel erscheinen -- und das heißt nicht Baldur's Gate, nein, dieses Spiel hört auf den Namen Knights of the Old Republic, kommt vom selben Entwickler und ist mindestens ebenso legendär wie das große Vorbild. Hätte Bioware "KotOR" im Releasejahr 2003 in ein Fantasygewand auf den Markt gebracht, hätte Dragon Age: Origins schon vor Jahren Premiere feiern können.

Den größten Unterschied zwischen beiden Titeln, abgesehen vom Setting, macht der Spieler in Kampfsituationen aus: Den relativ chaotischen Scharmützeln des Star Wars-Rollenspiels stehen taktisch fordernde Schlachten gegenüber und die Möglichkeit, die Zoomstufe so zu verändern, dass eine isometrische Sichtweise möglich wird, die frappierend an Baldur's Gate erinnert. Dass ausgerechnet dieses Feature in den Konsolenversionen wegrationalisiert wurde und sich Dragon Age auf PS3 und X-Box 360 noch mehr nach der Alten Republic anfühlt, läßt einen fast schon ironischen Umkehrschluss zu: Könnte es sein, dass PC-Spieler in den vergangenen Jahren allein deshalb auf taktische Echtzeitkämpfe verzichten mussten, weil es sich bei den letzten Bioware-Produkten stets um Umsetzungen bereits im Vorfeld kastrierter Konsolenversionen gehandelt hat?

Spielspaß der Extraklasse

Rollenspielern, die von dieser ganzen Betrachtungsweise nichts wissen oder wissen wollen erhalten mit Dragon Age: Origins den vielleicht hochklassigsten CRPG-Vertreter der letzten Jahre. Sicher, die Freiheiten eines Fallout 3 und Risen zelebriert der Titel nicht, dafür jedoch eine epische Storyline, die sich im Spielverlauf großartig entfaltet und an Orte führt, die Pixel für Pixel mit Atmosphäre und Hintergrundgeschichte durchsetzt sind. Dass Bioware noch nie ein Fan einer durchgängigen Spielewelt war, weiß man spätestens seit dem höchst modularen Neverwinter Nights -- und wer gerne etwas an der Hand geführt wird und im Gegenzug auf die generischen Landschaften eines Oblivion verzichten kann, erlebt designte Detailverliebtheit.

Da lassen sich selbst manche Anleihen an die Herr der Ringe-Trilogy verschmerzen, die die Entwickler immer wieder durchblitzen lassen. Und selbst die grafische Gestaltung ist bei Weitem nicht so schlecht und altbacken, wie manche Renzensionen vermuten lassen, eher das Gegenteil ist der Fall: Rüstungen und Gesichter verfügen (zumindest in der PC-Version) über sehr ansehnliche Texturen -- lediglich der überzogene Blutfaktor (die Charaktere verlassen bereits nach einem Scharmützel mit handelsüblichen Ratten blutgetränkt das Schlachtfeld) lädt bisweilen zum Schmunzeln ein.


Fazit:

Dragon Age: Origins ist wie eine Droge: Hat man erst einmal die noch recht biederen Anfangsstunden überstanden, beginnen diverse Faktoren ihre Sogwirkung zu entfalten: Die Orientierung in der neuen Spielwelt gelingt besser, die Story wird dichter, die Bindung zu den Charakteren wächst unaufhaltsam und die taktischen Finessen entwickeln sich aufgrund neuer Talente und Zaubersprüche zu ungeahnten Möglichkeiten.

Ein Großteil der zu absolvierenden Nebenquests hat das Prädikat "fesselnd" verdient, die Hauptstoryline ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben und selbst der vielerorts heftig kritisierte DLC "Warden's Keep" gehört zu den hochstklassigsten Nebenschauplätzen, die je in einem Rollenspiel zu finden waren. Da läßt es sich durchaus verkraften, dass das eine oder andere Gespräch mit unseren Mitstreitern eher zur Pflichtübung gerät und unser Hauptcharakter von Zeit zur Zeit eher ein stummer Mitläufer denn Hauptprotagonist zu sein scheint -- eine Tatsache, die zum Großteil der fehlenden Vertonung geschuldet ist.


Bereits jetzt ertappe ich mich dabei, mir insgeheim zu wünschen, dass ich noch möglichst viele Spielstunden mit Dragon Age verbringen kann; dass das Spiel irgendwann vorbei sein könnte, möchte ich mir einfach nicht vorstellen. Und das ist eines der größten Komplimente, die ich einem Titel überhaupt machen kann.
 

8 responses to "Sothis Ersteindruck: Dragon Age: Origins (PC)"

  1. Jau, kann ich nur bestätigen. Sehr feines Stückchen RPG-Software das präsentiert wird.

    Hab gestern nur beschlossen auf Win7 umzusteigen, daher muss DAO erstmal pausieren.

  2. Ein gut geschriebener Bericht, meine Kompliment, dass wird dem Spiel gerecht. Ich denke du hast die Vor- und auch Nachteile von „Dragon Age“ gut getroffen.
    Eine Analogie möchte ich aber ergänzen. Mich erinnert Bioware’s Drachenepos sehr stark an „Mass Effect“. Im speziellen die Konsolen Version spielt sich, zumindest auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad, ähnlich actionreich wie der Science Fiction Epos. Zudem hatte man auch in „Mass Effect“ nach den Anfangsquesten die Wahl, welche Hauptquest man sich den zuerst widmen möchte. Was dem recht linearen Ablauf ein wenig spielerische Freiheit suggeriert hat.
    An dieser Stelle möchte ich zudem eine Lanze für die 3rd Person Perspektive brechen. Die Animationen und (Zauber-) Effekte sehen wirklich Klasse aus und in der Iso-Perspektive geht die Wirkung ein wenig verloren. Wobei für die taktischen Kämpfe selbstredend kein Weg an der Iso- Perspektive vorbei führt. Ich wollte nur darstellen, dass die „Tomb Raider- Perspektive“ nicht nur Nachteile mit sich bringt.
    Deine Aussage, dass die Nebenquesten durchgängig das Niveau der Hauptkampnage hält, möchte ich noch mal hervorheben. Die optionalen Aufgaben sind Abwechslungsreich und bilden teils den Rahmen einer größeren Geschichte und bringen einem nebenbei, auf spannender Art, die Welt von „Dragon Age“ näher. Wenn wir an diesem Punkt wieder „Mass Effect“ zum Vergleich heranziehen, darf festgestellt werden das Bioware aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Den in „Mass Effect“ waren die Nebenquesten sehr lieblos und wirkten wie aus dem „Quest- Generator“.
    Einen wichtigen Aspekt, der den Wiederspielwert von „Dragon Age“ zugutekommt, sind die unterschiedlichen Möglichkeiten die Questen gut oder böse zu absolvieren. Mein bisheriger Eindruck ist, dass die Unterschiede größer sind als damals in KotoR. Da der ganze Bericht bisher Spoilerfrei ist, nenne ich an diesem Punkt explizit keine Beispiele. An anderem Ort ist es aber sicher interessant sich darüber zu unterhalten.
    Abschließend hoffe ich, dass ich noch viele Stunden Spaß mit Dragon Age verbringen kann und am 28. Januar (kommt fast passend zu meinem Geburtstag) mit „Mass Effect 2“ schon der nächste Bioware Titel. Zwei Bioware Titel innerhalb von drei Monaten, gibt es schöneres? Ich hoffe, dass dafür die Wartezeit auf das nächste „Bioware Edmonton“ Spiel nicht zu lange dauern wird.
    Ach ja, eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen, meine deutsche Version von Baldurs Gate besteht aus fünf CDs...

  3. Schöner Kommentar! Die Third-Person-Perspektive finde ich übrigens, zu meinem Erstaunen, auch sehr angenehm -- bei mir kommt die Iso-Perspektive fast nur in Kämpfen zum Tragen (und selbst da nicht immer, weil sie leider nicht kippbar ist).

    Zu Mass Effect kann ich ja leider immer noch nichts sagen, weil es ja hier noch verpackt rumliegt -- vielleicht das nächste Spiel nach Dragon Age. Aber danke für die informative Einschätzung.

    Und das mit den 5 CDs ist natürlich ein böser Fehler. Muss zu meiner Rechtfertigung allerdings anmerken, dass ich erst 5 CDs geschrieben hatte, dann aber unsicher wurde (weil ich den Text unterwegs geschrieben habe) und im Internet nachgeschaut hatte -- und da stand dann was von 4 CDs... ;)

  4. Ah.. hatte ich vorhin vergessen zu schreiben. Es gibt doch etwas, dass mir etwas sauer aufstößt bei DragonAge, und zwar dieser Download-content. Mir sind jetzt schon 2 oder 3 NPCs begegnet, wo ich irgend nen Spieleinhalt herunterladen könnte um eine Nebenquest zu machen.
    Kann es so schwer sein, diesen Teil gleich mit auf DVD auszuliefern? Oder gibt es dafür nen bestimmten Grund der sich mir noch nicht erschlossen hat?

    Aber bis auf den Makel, wirklich ein schönes Spiel

  5. Ich habe einen knapp 4 Jahre alten PC und mir Dragon Age deshalb für die Xbox 360 geholt - und bin extrem enttäuscht.

    Mit der eingeschränkten Grafik im Vergleich zu einem High-End PC könnte ich gut leben, aber nicht damit, wie sehr das Kampfsystem in den Konsolenversionen verstümmelt wurde. What were they thinking?! Die Kämpfe machen absolut keinen Spaß und damit steht und fällt das ganze Spiel.

    Dragon Age war für mich der sehnsüchtigst erwartete Titel 2009 und zähneknirschen verkaufe ich meine Xbox-Version nun wieder nach nur einer Woche. Zu gerne würde ich es gegen die PC-Version tauschen, aber das bringt mir nichts, da es auf meinem Rechner nicht mehr läuft.

    Niedergeschlagen hoffe ich nun auf Mass Effect 2 - da die Xbox dort die Hauptplattform ist werde ich von BioWare dann hoffentlich Ende Januar nicht nochmal so bitterlich enttäuscht.

  6. @Jay:

    Dass dich Mass Effect 2 in Hinsicht auf das Kampfsystem nicht enttäuschen wird, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen -- ganz einfach aus zwei Gründen:

    a) Mass Effect 2 ist, wie du richtig sagst, eine Konsolenentwicklung. Wie du aber ebenfalls festgestellt hast, wurde ja eben jene Konsolen um den Taktikteil gestutzt, warum sollte das also bei anderen Bioware-Spielen anders sein?

    b) Ich glaube Mass Effect spielt sich vom Kampfsystem her noch actionsreicher als Dragon Age (und aus der Third Person Perspektive). Mass Effect 2 wird mit großer Wahrscheinlichkeit nichts an diesem Konzept ändern.

  7. Dann hätte mich ja auch Mass Effect bereits enttäuscht.

    Mir geht es ja nur darum, dass ich bitteschön die selbe Spielmechanik haben möchte, egal ob PC oder Konsole und ohne, dass etwas beschnitten wird. Mass Effect ist auf dem PC ja auch nicht plötzlich ein rundenbasiertes Strategiespiel im Stil von Battle Isle nur weil hier Maus und Tastatur zur Verfügung stehen. ;-)

    Womit wird z.B. gerechtfertigt, dass es die Vogelperspektive nur in der PC-Version gibt? Als ob das auf einer Konsole nicht machbar wäre...

  8. Solche Dinge werden wohl ewig das Geheimnis der Entwickler bleiben. Genau so unverständlich ist es, warum bei Splinter Cell: Double Agent auf dem PC storyrelevante Zwischensequenzen und teile des Spiels weggelassen wurden.