Developer: Irrational Games
Publisher: 2K Games
Genre: Egoshooter
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"Booker, hast du Angst vor Gott?" "Nein, aber vor dir."
Und so beginnt das Kopfkino gleich zu Beginn von Bioshock Infinite. Ist doch die Person, vor der sich Booker DeWitt (= wir) so fürchtet, niemand Geringeres als Sidekick Elizabeth, die uns beinahe über das gesamte Abenteuer begleitet. Und die kleine Dame hat es wirklich in sich, aber dazu später mehr.
Stimmungsvolle Umgebung
Ein Markenzeichen jedes Bioshock-Abenteuers ist die abgedrehte Spielumgebung, die sich aus einem wohldosierten Mix aus Realismus und Fantasterei zusammensetzt und den Spieler nach den Unterwasserabenteuern in Rapture in deutlich höhere Gefilde entführt. Diesmal steigen wir in die Lüfte, in die vermeintlich heile Welt der US-amerikanischen Stadt Columbia anfangs des 20. Jahrhunderts. Wir befinden uns somit zwar noch einige Jahre vor den Ereignissen in Rapture. Wer sich allerdings nicht als ausgewiesener Kenner amerikanischer Geschichte und Kultur versteht, wird Stil und Form dieser Jahrzehnte ohnehin in einen Topf werfen.
Apropos Stil und Form: Schon in Bioshock haben die Entwickler ein ausgezeichnetes Gespür für stimmungsvolle Umgebungen an den Tag legt – mit Bioshock Infinite packen sie noch eine ordentliche Schippe drauf: Es gab wahrscheinlich noch nie eine Stadt, die atmosphärischer oder detaillierter in Szene gesetzt wurde. Man kann nur erahnen, wie viel Aufwand hinter dem Design einer solchen Lokation steckt. Nachteil: So schön das alles auch ist: Es dauert gar nicht allzulange, bis man sich an dem Szenario satt gesehen hat, was auch daran liegen mag, dass die Entwickler immer mal wieder Geschwindigkeit aus dem Spiel nehmen und der Spieler zu längeren Spaziergängen zwingen: So sind bereits die ersten 30 Spielminuten hauptsächlich als Sightseeing-Tour durch Columbia zu verstehen – fast hat man das Gefühl, die Stadtdesigner möchten ihr Kunstwerk dem geneigten Spieler vorführen.
Spielerische Standardkost
Spielerisch ist Bioshock Infinite für all jene, die die Vorgänger kennen, absolute Standardkost. Statt Plasmide kämpfen wir nun mit Kräften, die an Automaten gegen Silver Eagles (die Währungseinheit in Columbia) erstanden werden können. Anstatt mit Tonikum und Adam zu hantieren, erhalten wir nun besondere Ausrüstungsteile für Kopf, Torso und Beine; Kräfte werden nun mit Salzen ausgelöst. Die Waffenauswahl ist reichhaltig, wobei immer nur zwei Gerätschaften gleichzeitig mitgeführt werden dürfen – dementsprechend wichtig ist auch die Jagd nach ausreichend großer Mengen an Munition.
Eigentlich könnte ich an dieser Stelle noch viele Bioshock-Standards mehr aufzählen, aber im Grunde interessiert doch mehr, worin sich Infinite von seinen Vorgängern unterscheidet. Und das ist mit Sicherheit das Mädchen Elizabeth, das wir anfangs noch entführen, später aber vielmehr retten müssen.
Sidekick-Freuden
Elizabeth ist keine aufgezwungene Nervensäge, sondern erweist sich als äußerst lebendig und vor allem nützlich: So weist sie öfter auf versteckte Gegenstände hin, füllt unseren maroden Geldbeuten immer mal wieder mit Münzen auf und unterstützt während des Kampfes durch das Zuwerfen von Munition und Health Packs.
Wirklich aus der Masse heraus sticht sie aber vor allem durch eine Fähigkeit: Elizabeth ist in der Lage, an vom Spiel vorgegebenen Stellen, welche als Risse bezeichnet werden, die Umgebung zu manipulieren – etwas in dem sie eine Deckung oder einen Geschützturm aus dem Nichts erscheinen lässt. Dies ist nicht nur äußerst nützlich, sondern gibt dem Spiel auch einen Hauch von Taktik. Aber auch unabhängig davon erweist sich die Kleine als Kernstück des Spiels: Immer wieder führen wir Dialoge, die mit der Zeit eine emotionale Bindung zu Elizabeth aufbauen.
Erzählerische (Bioshock)-Standardkost
Was etwas verwundert ist die Tatsache, dass der Storyverlauf, vor allem in Bezug auf die politische Situation in Columbia, für jeden Bioshock-Veteranen sehr vorhersagbar ist: Wieder gibt es mit dem faschistoide Zachary Hale Comstock einen Anführer und Gründer mit Gottkomplex, wieder gibt es mit Vox Populi eine Gruppe, die gegen den Status Quo rebelliert und dabei selbst nicht frei von Dreck am Stecken ist. Ein gesunder Menschenverstand reimt sich schon zu Anfang problemlos zusammen, dass man als Spieler mit beiden Gruppierungen in Auseinandersetzungen geraten wird.
Auch bei der Erzählweise der Geschichte bleiben sich die Entwickler treu: Abermals wollen über die Maps verstreute Audioaufnahmen einzelner, mal mehr, mal weniger wichtiger Charaktere gefunden werden, die uns bruchstückhaft näher an die Situation heranführen. Sicherlich kein schlechter, aber halt auch schon abgenutzter Weg der Story-Vermittlung.
Fazit: Rapture war das fesselndere Utopia
Ich gebe offen zu: Die beklemmende Stimmung, die die Unterwasserstadt Rapture mitsamt ihrer genmanipulierten Bewohnern ausstrahlte, fasziniert mich mehr als das fliegende Columbia. Sicher, die Stadt ist ausgezeichnet in Szene gesetzt und der Spielepreis für Architektur würde ich den Designern ohne zu Zögern aushändigen, aber richtig zu fesseln wusste mich der Titel über weite Strecken nicht – vielleicht auch, weil mir vieles schon aus Bioschock 1 und 2 zu bekannt vorkam, vielleicht auch, weil Infinite gameplaytechnisch gar nicht so gehaltvoll ist, wie es die grafische Verpackung vermuten lässt.
Lichtblick ist so oder so unsere Begleiterin Elizabeth, die dem Spieler nicht nur tatkräftig zur Seite steht, sondern emotional ans Herz wächst. Vermutlich auch deshalb, weil man sich mit ihr zusammen in der überdrehten Spielwelt nicht allein gelassen fühlt, es einfach einen Anker gibt, an dem man sich festhalten kann, selbst wenn das Drumherum an Perversität und Dekadenz nicht zu überbieten ist. Bezeichnend ist daher auch der Moment, an dem wir (Achtung, Spoilergefahr!) von Elizabeth getrennt werden: Plötzlich fühlt man sich einsam, aber hat gleichzeitig Angst um das Mädchen, das trotz aller Kräfte doch so verletzlich wirkt.
Enttäuscht bin ich im Gegensatz dazu von der über weite Strecken vorhersehbaren Story und dem unnötig verschwurbelten Ende. Während es Bioschock noch schaffte, mit einfachen, nachvollziehbaren Mitteln einen tollen Kniff in das Finale zu bringen, verstrickt sich Infinite in ein Sammelsurium aus verkomplizierten Erklärungen, die den Spieler letztlich nur erahnen lassen, was da jetzt eigentlich passiert ist. Vermutlich wollten die Entwickler, dass der Spieler lange und intensiv über das Geschehene nachdenkt, aber umso länger man sich mit dem Thema beschäftigt, umso ärgerlicher wird man darüber, kein befriedigendes, clever inszeniertes Ende vorgefunden zu haben.
So bleibt Infinite über weite Strecken ein gutes, aber kein geniales Spiel, das sich ganz wie ein Bioshock-Titel spielt, aber vielleicht gerade deshalb nicht mehr ausreichend zu überraschen weiß.
Wertung: 10/12